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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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Hausärzten und den zudringlichen Fragen von Journalistinnen und Journalisten überlassen.
    In dieser Situation völlig auf sich gestellt und damit überfordert, 296 erlebten die Geiseln nach dem Trauma in der entführten »Landshut« eine »sekundäre Traumatisierung«, wie es der Psychotherapeut Andreas Ploeger später formuliert hat.
    Der Psychologe Wolfgang Salewski, der die Bundesregierung in den Entführungsfällen von Hanns Martin Schleyer und den »Landshut«-Geiseln beraten hatte, wies gern und häufig auf seinen Anteil am Erfolg von »Mogadischu« hin, doch eine rasche Hilfe für die Geiseln brachte er nicht auf den Weg. Auch Andreas Ploeger, dessen Forschungsinteresse sich auf die Geiseln richtete und der sich das Plazet für seine Studien bei der Bundesregierung holte, kam mit seinem Therapieangebot, das zudem nicht alle Geiseln einschloss, zu spät.
    Zum zehnten Jahrestag der Geiselbefreiung lud der Bonner General-Anzeiger den ehemaligen Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski und den Psychologen Wolfgang Salewski zu Gastbeiträgen ein. Hans-Jürgen Wischnewski lobte seinen früheren Chef, Bundeskanzler Helmut Schmidt, der in einer schwierigen Lage »Führung und Verantwortung voll in seine Hand« genommen habe. »Es ging darum, Menschen zu retten [. . . ].« Er lobte die »sehr mutige« Polizeitruppe GSG 9 und die Haltung der somalischen Regierung und kritisierte Probleme bei der Zusammenarbeit von Sicherheitsorganen in Bund und Ländern, aber nicht die ­eklatanten Versäumnisse, die mit Blick auf die zurückgekehrten »Landshut«-Geiseln gemacht worden sind.
    Hans-Jürgen Wischnewski gehörte zu den Politikern, die gegenüber den Leiden der befreiten Geiseln das meiste Verständnis zeigten, doch auch er war ein Mann der Kriegsgeneration. Noch in der Rückschau für den Bonner General-Anzeiger gibt es von Hans-Jürgen Wischnewski kein Wort der Selbstkritik über die Art und Weise, wie die Bonner Politik diesen Nöten begegnet ist. So menschlich und in seiner Art »zum Anfassen« Hans-Jürgen Wischnewski war, auch er sprach und schrieb stets nur über seine – freilich großen – Leistungen und nicht über mögliche Versäumnisse.
    Wolfgang Salewski stellt in seinem Beitrag zehn Jahre nach dem 297 Ereignis fest, von »ganz besonderer Bedeutung« sei die zügige Behandlung der Opfer nach einer Geiselnahme. »Hier bedarf es einer besonders intensiven medizinischen und psychotherapeutischen Nachversorgung, die dann optimal verläuft, wenn die betroffenen Geiseln einige Tage gemeinsam das Erlebte miteinander verarbeiten.« Der Aufwand, der unmittelbar nach einem Ereignis in die Rehabilitation investiert werde, sei im Vergleich zu später notwendigen therapeutischen Investitionen verschwindend gering. Kein Zweifel, Wolfgang Salewski hat aus »Mogadischu« Lehren gezogen: Eine medizinische und psychotherapeutische Nachversorgung darf nicht, wie im Oktober 1977 , noch einmal unterbleiben. Hat er, der mit den befreiten Geiseln aus Mogadischu zurückgeflogen ist, sich um eine solche Nachversorgung bemüht? Und wenn ja, an welchen Widerständen ist sie gescheitert? Auch von Wolfgang Salewski gibt es bis heute keine Darstellung über Leistungen und Versäumnisse nach »Mogadischu«.
    Die Frauen und Männer, Erwachsene und Kinder sind am 18.   Oktober 1977 aus der entführten »Landshut« befreit worden. Danach wurde mit ihnen »nachlässig verfahren«, wie die frühere Geisel und Chefstewardess in der Maschine, Hannelore Brauchart, rückblickend urteilt. Die »zweite Befreiung« der Geiseln, wie die Journalistin Rosvita Krausz es nannte, die Befreiung nicht nur des Menschenlebens aus Entführerhand, sondern auch der Seele aus dem erlittenen Trauma, ist ausgeblieben.
    Fast alle Betroffenen hatten über Jahre und Jahrzehnte mit den Folgen der 106 Stunden in der entführten Lufthansa-Maschine zu kämpfen, einige bis heute. Die Jüngeren verkraften die eigene Ohnmacht in der Situation leichter als Frauen und Männer, die mitten im Leben einer solchen Gewalt ausgeliefert waren. Die Älteren kommen kaum mit dem Verlust an Würde klar, der mit der Geiselhaft verbunden war. Die zwei Frauen und zwei Männer des Entführungskommandos hatten die Menschenwürde mit Füßen getreten.
    Von Jahr zu Jahr liegt das Drama vom Oktober 1977 weiter 298 zurück, doch es bleibt fest im Gedächtnis. In den ersten Jahren sind bei den Opfern noch die Bilder von den Entführern lebendig, in den Träumen oder in Begegnungen mit

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