Die Ueberlebenden von Mogadischu
doch der Herr Vietor aus der »Landshut« !
Es ist zu lange her. Wir waren jetzt im März in der Türkei, dort hat mich ein Ehepaar erkannt, aber die Frau konnte mein Gesicht nicht gleich zuordnen. »Ich habe Sie irgendwo schon einmal gesehen«, sagte sie, und ich antwortete: »Kann sein.« Ich habe ihr dann zwei Tage später gesagt, was mir einmal passiert ist. Wir sind jetzt miteinander befreundet.
Wurden Sie eigentlich einmal gefragt, ob Sie für etwas Werbung machen wollen ?
Nein. Ich würde es auch nicht machen, nie.
Ich frage das, weil Sie einer der prominentesten Piloten in Deutschland sind.
Das sagen Sie!
294 Die ausgebliebene Befreiung
Im Jahr 1977 gehörte die Bundesrepublik Deutschland längst zu den reichsten Industrienationen der Welt. In der zeithistorischen Rückschau erscheint es umso weniger verständlich, dass sie bei der Entschädigung von Fluggästen, die als Faustpfand für terroristische Ziele herhalten mussten, derart bürokratisch vorging und in der Summe der Zahlungen knauserig war.
Auf dem internationalen Feld sah sie sich in einer Bringschuld gegenüber Großbritannien, das die Befreiungsaktion in Mogadischu unterstützt hatte, und noch mehr gegenüber Somalia, dem Schauplatz des Geschehens. Großbritannien profitierte, indem Deutschland das Projekt einer Industrieanlage zugunsten eines britischen Standorts verwarf, Somalia erhielt Geld, um in Ägypten Waffen zu kaufen (die Fürsprache bei den Ägyptern besorgte Bundeskanzler Helmut Schmidt gleich selbst), und technisches Gerät, um diese Waffen zu transportieren. Die Bundesregierung brach dabei mit dem Vorsatz, keine Waffen in politische Spannungsgebiete zu liefern. Genutzt hat es nichts, denn schon im März 1978 musste Somalia gegenüber dem kriegerisch verfeindeten Äthiopien seine Niederlage erklären.
Die Überlegung, den Opfern der Geiselnahme Schmerzensgeld zu zahlen, verwarf Helmut Schmidt dagegen aus Sorge, einen Präzedenzfall zu schaffen, aber mindestens genauso aus der Überzeugung heraus, dass die Bundesregierung für die Geiseln getan hatte, was sie tun konnte, sie nämlich durch die Grenzschutztruppe 9 unversehrt aus der Maschine zu holen. Das war keine singuläre Auffassung, sondern entsprach dem Bewusstsein der damals regierenden Politikergeneration, die als Kriegsgeneration selbst Schlimmes erlebt hatte und möglicherweise wenig Einfühlung für das vermeintlich geringere Leiden anderer Menschen zeigte.
Kurz gesagt, lautete die Einstellung der politisch Verantwortlichen in Bonn gegenüber den befreiten »Landshut«-Geiseln: Was wollt ihr denn, ihr seid doch frei. »Diesen Satz haben wir oft 295 gehört«, erinnert sich die Betroffene Jutta Knauff in der Rückschau.
Die Bundesregierung sah sich in keiner moralischen oder finanziellen Schuld gegenüber den Opfern – kein Politiker schrieb ihnen je einen Brief des Bedauerns oder gar der Entschuldigung, und wer Schmerzensgeld oder Geld für eine Therapie bekommen wollte, musste sich selbst darum kümmern.
Die regionalen Versorgungsämter, die das neue Opferentschädigungsgesetz anwenden mussten, hatten damit noch keine Erfahrung. Antragsteller und Antragsnehmer begegneten einander, als kämen sie aus unterschiedlichen Welten. Das Bemühen um Schmerzensgeld oder Geld für psychotherapeutische Behandlung geriet für die Opfer zum Spießrutenlaufen.
So ist es auch kein Wunder, dass bei der Bundesregierung ein Wirrwarr an Zuständigkeiten herrschte, als es um die Opferbetreuung nach der Befreiung der Geiseln ging. Justizministerium, Arbeitsministerium und Kanzleramt waren jeweils auf ihre Weise mit ihr befasst. Das Kanzleramt erklärte die Angelegenheit erst nach vielen Monaten zur »Chefsache«.
Das war für ein gut informiertes Land wie die Bundesrepublik Deutschland erstaunlich. Aus der Behandlung von Geiselopfern in den USA und den Niederlanden hätte bekannt sein können, dass sie – und auch ihre Angehörigen – sofort nach ihrer Befreiung psychologische Hilfe brauchen. Selbst betroffene Frauen und Männer, die eine solche Hilfe als überflüssig abtun, müssen überwacht und begleitet werden, weil sie die Folgen des traumatischen Erlebnisses nicht selbst übersehen.
In der Gegenwart ist ein solches Vorgehen gang und gäbe – sei es nach der »Love Parade«-Katastrophe in Duisburg oder dem Massaker in Norwegen. Doch damals blieben die Geiseln sich selbst, dem häufig hilflosen Verhalten ihrer Angehörigen, dem Versagen von Hausärztinnen und
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