Die Ueberlebenden von Mogadischu
sucht sogar die Mutter vor lästigen Gesprächspartnern zu schützen (siehe meinen Dialog am Telefon mit ihr im Kapitel »Mein Leben ist kein langer ruhiger Fluss«). Vater und Sohn sprechen nicht gern über das Thema, und wenn sie es doch tun, wühlt es sie sehr auf.
Dorothe Köster, die Tochter von Matthias Rath, war zu der Zeit, als ihr Vater entführt wurde, zwölf Jahre alt. Damals, erinnert sie sich im Gespräch, habe sie sich keine Vorstellung davon machen können, was ihr Vater erlebt habe. »Dieser Verarbeitungsmechanismus setzte eigentlich erst viele Jahre später ein, als ich den Film Todesspiel im Fernsehen gesehen habe.« Sie habe bei beiden Teilen vom Anfang bis zum Ende geweint, »weil ich da erst gemerkt habe, wie schlimm es für meinen Vater gewesen sein muss«.
Mit den Jahren ist den Betroffenen die Deutungshoheit über das Ereignis entglitten, wie immer, wenn ein Geschehen historische Dimensionen für einen weiten Personenkreis annimmt. Nach einer gewissen Zeit bemächtigen sich die Medien, vor allem das Fernsehen, des Ereignisses und schaffen einen nationalen Mythos, der immer weiter wächst, auf die Masse der Zuschauerinnen und Zuschauer seine Wirkung entfaltet, sich aber nicht selten von der historischen Wahrheit entfernt. So kam es auch mit der Geschichte der entführten »Landshut« und der Befreiung der Geiseln in Mogadischu.
Waren frühe Dokumentationen und Dokudramen noch in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen entstanden – Ebbo Demants 301 Film Flugplatz Mogadischu ( 1981 ) oder Heinrich Breloers Todesspiel ( 1997 ) – so war der Spielfilm Mogadischu zum 30. Jahrestag des Dramas ein vollkommen fiktionales, von der Wirklichkeit allenfalls noch inspiriertes Stück. Mit diesem Film und einem Buch zum Film wurde eine Legende um Kapitän Jürgen Schumann geschmiedet, die das Thema für die Zeitgeschichte »abhaken« sollte, aber nicht konnte: Die Stilisierung von Jürgen Schumann zum Helden fiel zu vordergründig aus.
Parallel zu dem dürftigen Versuch, das letzte Geheimnis um die »Landshut«-Entführung zu lüften, nämlich die unmittelbaren Umstände, die zum Tod von Kapitän Schumann führten, entwickelte sich in der Bundesrepublik Deutschland ein neuer Blick auf die Geschichte des Terrorismus – nicht mehr nur die Täter mit ihren Motiven stehen im Fokus, sondern die Opfer mit dem ihnen zugefügten Leid. Das Phänomen des deutschen Terrorismus wird inzwischen sozusagen ganzheitlich betrachtet – neben dem Blick auf die Täter, die nach Gnade rufen, steht der Blick auf die Opfer, die Sühne verlangen. Die Täter wollen nicht mehr den Rest ihres Lebens in Gefängnissen sitzen. Die Opfer wollen endlich erfahren, wer ihre Männer oder Väter ermordet hat; oder wie im Fall von Mogadischu: wie die Rote Armee Fraktion eine palästinensische Befreiungsbewegung dazu brachte, eine deutsche Lufthansa-Maschine zu entführen.
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA scheint eine Flugzeugentführung als terroristischer Akt der Vergangenheit anzugehören. Die Terroristen ersannen eine neue Perfidie der Gewalt gegen unschuldige Menschen an Bord eines Flugzeugs. Sie entführten eine Maschine nicht mehr, um eine Regierung zu erpressen, sie führten den gezielten Absturz von Flugzeugen herbei, unter Preisgabe ihres eigenen und des Lebens der Geiseln. Das mit Menschen voll besetzte Flugzeug diente nicht mehr einer »Wenn-dann-Situation« im Sinn von: »Wenn unsere Forderungen nicht erfüllt werden, dann töten wir Geiseln und sprengen das Flugzeug in die Luft.« Das Flugzeug wird unmittelbar zur Waffe. Diese 302 terroristische Gewalttat will keine Forderung mehr durchsetzen, sondern dient dem gewaltsamen Kampf.
In der entführten »Landshut« hatten die Passagiere die Funktion eines politischen Faustpfandes. Die Passagiere der am 11. September 2001 gewaltsam zum Absturz gebrachten Maschinen waren nach dem Kalkül der Täter auf jeden Fall zum Tode verurteilt. Mit diesen Toten sollten die USA und die ganze westliche Welt zur Verantwortung gezogen werden. Die Twin Towers standen im Herzen einer Weltanschauung. Die Trauer über die Opfer dieser Attentate teilten alle Menschen, die nicht das Weltbild und die politischen Ziele der Attentäter teilten.
Die Frauen und Männer, die am 13. Oktober 1977 die Lufthansa-Maschine »Landshut« in ihre Gewalt brachten, wollten am Leben sein, wenn ihre Aktion vorbei sein würde. Sie wollten zu Hause als Helden und nicht als
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