Die Ueberlebenden von Mogadischu
Märtyrer gefeiert werden (heute gelten sie in Nablus und anderen palästinensischen Städten als Märtyrer – angeblich wurde in Nablus ein Ehrenmal für sie errichtet). Mit dieser Aussicht traten sie die »Ausbildung« für die Aktion an und gingen das Risiko ein umzukommen. Allerdings schien ihnen dieses Risiko offenbar gering. Sie fürchteten nicht, dass eine nichtdeutsche Eingreiftruppe die deutsche »Landshut« stürmen würde, und sie konnten sich nicht vorstellen, dass eine deutsche Eingreiftruppe auf fremdem Territorium stürmen darf. Sie hielten eine Befreiungsaktion für so unwahrscheinlich, dass sie nur eine der Flugzeugtüren mit Gepäck versperrten, und dies auch nur, weil die Taschen aus dem Passagierraum irgendwohin mussten.
Der damals noch gängige Wunsch von Terroristinnen und Terroristen, unbedingt am Leben zu bleiben, wurde den vier Entführerinnen und Entführern der »Landshut« zum Verhängnis. Mahmud äußerte ihn im Verlauf der Entführung recht früh, indem er in Dubai Halstabletten gegen seine Heiserkeit bestellte, einschließlich einer genauen Gebrauchsanweisung. »Wer sich bald in die Luft sprengen will«, wird ein nicht genannter Akteur in Bonn 303 später im Spiegel zitiert, »der behandelt sich selber nicht auf diese Weise.«
Als Mahmud von einem Vertreter der deutschen Bundesregierung informiert wurde, dass diese zu einer Freilassung der Terroristen bereit sei, willigte er leichtgläubig in eine vielstündige Verlängerung des Ultimatums ein. Die Freude, die er danach den Geiseln gegenüber zeigte, war nicht nur eine Freude darüber, den Gegner in die Knie gezwungen zu haben, sondern auch die Erleichterung darüber, sich selbst nicht in die Luft sprengen zu müssen.
Weder er noch seine Komplizinnen und sein Komplize scheinen die Landung von zwei Lufthansa-Maschinen im Lauf des Tages – die eine mit Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski, die andere mit den GSG - 9 -Leuten an Bord – bemerkt zu haben. Jedenfalls haben sie keinen Verdacht geschöpft. Mahmud verlangte über die folgenden Stunden auch keinen »Zwischenbeweis« für die Erfüllung seiner Forderungen, etwa ein Gespräch mit dem aus der Haftanstalt gebrachten Andreas Baader über Funk. Ein Grund mag Nachlässigkeit angesichts zunehmender Erschöpfung gewesen sein, ein anderer aber auch das Wunschdenken, die Sache erfolgreich zu Ende zu bringen, und zwar lebend.
Vor dem Hintergrund der Terroranschläge vom 11. September 2001 ist die Entführung der Lufthansa-Maschine »Landshut« im Oktober 1977 , sieht man von den Nachwirkungen für die ehemaligen Geiseln und ihre Familien ab, »Geschichte«. Die Bedingungen und Ziele terroristischer Gewaltanwendung – die Motive und die »Ausbildung« der Täterinnen und Täter, die solche Gewalt begehen – haben sich seither völlig verändert.
Die Unternehmen, die Passagiere transportieren, haben seit dem Ende der siebziger Jahre ohne Zweifel dazugelernt. Für die Deutsche Lufthansa jedenfalls war die »Landshut«-Entführung ein Trauma, das für Konsequenzen sorgte. Die Möglichkeit traumatischer Situationen an Bord eines Flugzeugs, sei es bei Passagieren, sei es bei Mitgliedern der Crew, ist heute viel stärker im Blick als Ende der siebziger Jahre. Die Stiftung Mayday hat Kooperations 304 abkommen mit fast allen deutschen Fluggesellschaften getroffen und betreut unter anderem deren Flugbesatzungen nach kritischen und stark belastenden Ereignissen bei Vor- oder Unfällen.
Die Deutsche Bahn, das andere große Transportunternehmen der Bundesrepublik Deutschland, erlebte ihr Trauma mit dem Zugunglück von Eschede im Jahr 1998. Die Geschichte der Aufarbeitung von »Eschede«, der Umgang mit Hinterbliebenen sowie körperlich und seelisch verletzten Opfern, wäre noch zu schreiben.
Was die »nationale Seite« der Bewältigung von Traumata angeht, zeigten sich ebenfalls Fortschritte. Die Medien muten ihren Lesern, Hörern und Zuschauern inzwischen Meldungen, Berichte und Spielfilme über Traumaopfer zu. So steht in der Zeitung, die Zahl der bei Auslandseinsätzen traumatisierten Bundeswehrsoldaten sei im Jahr 2011 um 26 Prozent auf einen Höchststand von 922 gestiegen. 759 von ihnen seien in Afghanistan im Einsatz gewesen.
Der Fernsehfilm Willkommen zuhause aus dem Jahr 2008 (Regie: Andreas Senn) handelt von einem Bundeswehrsoldaten, der traumatisiert aus dem Afghanistaneinsatz in seinen Heimatort zurückkommt, sich aber diese Traumatisierung nicht eingesteht. Die
Weitere Kostenlose Bücher