Die Ueberlebenden von Mogadischu
wildfremden Menschen. Später erinnern Jahrestage mit immer neuen Spielfilmen und Dokumentationen, Anfragen nach Interviews und Fernsehporträts an das Ereignis. Jahrzehnte später werden die Opfer von Mogadischu von der einzig überlebenden Täterin in ihrer eigenen Lebensgeschichte eingeholt: Das Mitglied des »Landshut«-Entführungskommandos Souhaila Andrawes kommt in Hamburg vor Gericht. Jetzt müssen sich die Passagiere wieder von neuem dem schicksalhaften Ereignis stellen.
Die Erinnerung an das Ereignis lässt die Witwe des ermordeten Flugkapitäns Jürgen Schumann lange nicht zur Ruhe kommen. Für seinen Piloten-Kollegen in der entführten Maschine, Jürgen Vietor, ist sie bis heute präsent. Die unterschiedliche Sicht von Monika Schumann und Jürgen Vietor macht die Tragik der Ereignisse bis heute deutlich.
Gegenwärtig ist das Thema »Mogadischu« auch für die Kinder früherer »Landshut«-Geiseln, die erlittenen Traumata »vererben« sich in die nächste Generation.
Schon unmittelbar nach Rückkehr der Geiseln in die Familien zeigt sich, dass sich im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern etwas verändert hat: Der Sohn von Jutta Knauff, der an jenem Sonntag das Pappschild mit der Aufschrift »Herr Bundeskanzler! Ich will meine Mutti wiederhaben!« getragen hat, wird dafür in der Schule gehänselt. »Mamakind«, sagen die Klassenkameraden zu ihm. Er zerstört das Schild und zieht auch die Jacke, die er darunter anhatte, nie wieder an. Zu seiner Mutter sagt er: »Ich hasse dich dafür, dass ich mit diesem Pappschild herumgelaufen bin.«
Die Bandbreite der Reaktionen sowie der langfristigen Verarbeitungsprozesse ist groß: Manche Kinder kommen mit dem von den Eltern oder einem Elternteil erlittenen traumatischen Erlebnis ohne Probleme zurecht. Sie haben das Drama in der Biographie ihrer Mutter oder ihres Vaters (oder beider Elternteile) gut in die 299 eigene Lebensgeschichte integriert, wie etwa der Sohn von Beate Keller. »Er ist damit groß geworden«, erzählt Beate Keller, »er hat alles mitbekommen.« Sie hätten sich nie zusammengesetzt, um über das von der Mutter Erlebte zu sprechen, er sei einfach immer dabei gewesen, wenn sie im Freundeskreis oder mit Journalisten darüber gesprochen habe.
Es gibt aber auch viele Kinder, die mit ihrer Mutter oder mit ihrem Vater nicht darüber sprechen wollen, weil sie es nicht können, weil es ihnen zu nah ginge! Oder es gibt Kinder, die sich ohne ihre betroffenen Eltern damit auseinandersetzen – etwa einen Fernsehabend bei Freundinnen und Freunden veranstalten, wenn wieder einmal ein Spielfilm über das Drama läuft.
Die Kinder von Jürgen Vietor sind erst einige Jahre nach dem »Heißen Herbst« 1977 geboren und haben im Jugendalter von »Mogadischu« und dem Einsatz ihres Vaters bei diesem Drama erfahren. Jürgen Vietor hat ihnen »wenig erzählt«, wie er sich im Gespräch erinnert, genauso wie ihm sein eigener Vater kaum von dessen Zeit im Krieg – also ebenfalls einer traumatischen Erfahrung – berichtet habe. Die Vietor-Kinder informierten sich über »Mogadischu« ihrerseits nicht bei ihrem Vater, sondern bei der Mutter und mit Hilfe der Unterlagen (Zeitungsartikel, Bücher), die sich im Haus befanden.
Für die Tochter von Diana Müll sei es »manchmal nicht so einfach« gewesen, das Kind einer früheren »Landshut«-Geisel zu sein, erinnert sich die Mutter. Wie sehr das Thema die Tochter belastete, drückt die Mutter in einer Anekdote aus: Einmal gab Diana Müll ein Fernsehinterview, bei dem ein Kinderbild ihrer Tochter im Hintergrund zu sehen war. Der Journalist hatte den Rahmen mit dem Bild eigens hinter dem Kopf der Mutter platziert. Nach der Ausstrahlung des Interviews wurde die Tochter in der Schule darauf angesprochen. Wieder zu Hause, sammelte sie alle Bilderrahmen mit Fotos von sich ein und verstaute sie in einer Schublade. Zu ihrer Mutter sagte sie: »So etwas will ich nie wieder erleben.« Bis heute möchte sie mit der Mutter nicht über »Moga 300 dischu« sprechen. »Sie hat ein Problem damit, dass mir das passiert ist«, resümiert Diana Müll.
Auch die Tochter von Jutta Knauff wünscht mit ihrer Mutter kein Gespräch über das Thema. »Es ist vorbei«, lautet ihre Reaktion darauf. Erst die Enkelgeneration kann und möchte sich damit auseinandersetzen.
In der Familie von Lutzau haben jeweils Mutter und Tochter sowie Vater und Sohn gemeinsame Haltungen entwickelt. Mutter und Tochter gehen mit dem Thema aktiv um, die Tochter
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