Die Ueberlebenden von Mogadischu
wieder gefährdeten demokratischen Rechtsstaat einen unerhört großen Dienst erwiesen. Dieser Staat hat mithilfe der Männer der Regierung, an der Spitze der Bundeskanzler, mithilfe aller im Bundestag vertretener Parteien seinen Bürgern neue Hoffnung eingeimpft. Nämlich die Hoffnung, dass auf die Schwingen der Tapferkeit Verlass ist, dass der Rechtsstaat kein schwächlicher Popanz, sondern ein Gebilde ist, das lebensbedrohende Gefahren bewältigen kann. Dank an unsere 84 Staatsmänner in Bonn, Dank an die Tapferen des Bundesgrenzschutzes, Trost und Anteilnahme für die Witwe des ermordeten Flugkapitäns, Freude für die Geretteten und ihre Angehörigen, neue Hoffnung für Hanns Martin Schleyer, dessen Schicksal noch zur bewegenden Anteilnahme gehört. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre Würde wiedergefunden. Niemand von uns braucht sich seiner Tränen zu schämen.« 84
85 Ein missglückter Empfang
Jede Nation kennt glückliche Momente des Zusammenhalts. Sie stiften Identität und stärken die Bindung unter denen, die sich als Bürger gleicher Nationalität verstehen. Im besten Fall kommt das Glück aus der gemeinsamen Empfindung von Heimkehr, etwa wenn eine Fußball-Nationalmannschaft, nachdem sie bei Europa- oder Weltmeisterschaften gut abgeschnitten hat, nach Hause kommt. Ihre Landsleute haben tage- und wochenlang mit ihr gehofft und gebangt, und jetzt gilt es, die erfolgreichen Kämpfer zu feiern.
Die Parallele zur Heimkehr siegreicher Soldaten aus dem Krieg liegt auf der Hand. Demokratisch organisierte Nationen beziehen ihre Identität jedoch nicht mehr aus gewonnenen Kriegen (oder verlieren sie über eine Niederlage in einem Krieg), sondern im friedlichen, sportlichen Wettstreit zwischen Nationen. Wozu sonst gibt es Länderspiele, Olympische Spiele oder internationale Meisterschaften?
Stärker als beim Sport prägen sich Bilder von Heimkehr ein, wenn kein Spiel vorausgegangen ist, sondern Wirklichkeit in ihrem bitteren Ernst. Die großen Prinzipien des Lebens haben miteinander gerungen, Gut und Böse, Recht und Unrecht, Moral und Unmoral. Das Gute, das Recht und die Moral haben am Ende gesiegt!
Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erlebt einen solchen Moment, als im Oktober 1955 die letzten Kriegsgefangenen – sie waren als politisches Faustpfand der Sowjetunion dort noch immer inhaftiert – heimkehren. Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte sie mit einem Staatsbesuch in Moskau »heimgeholt«, wie es in der Sprache der Zeit hieß. Aus den Zügen stiegen ausgemergelte Männer, Schatten ihrer selbst, traumatisiert von langen Jahren des Krieges und der Gefangenschaft. Viele Deutsche bekamen ihren Mann, ihren Vater, Bruder oder Freund zurück, manche von ihnen, die an Bahnhöfen Namensschilder und Fotos in die Höhe reckten, allerdings nicht. Die Tränen von Frauen, die an diesem Tag eine Lebenshoffnung endgültig begraben müssen, er 86 greifen nicht weniger als jene der Frauen, die ihren Mann wiederhaben.
Die Bilder aus diesen Tagen wirken doppelt: als persönliche Befreiung von Menschen, die nicht länger hinter Gitter und Stacheldraht leben, und als Balsam für das schwache Selbst- und Nationalbewusstsein der Deutschen. Dank der Wirkung dieser Bilder kann Bundeskanzler Adenauer nach der nächsten, nahen Bundestagswahl ein Traumergebnis holen und mit absoluter Mehrheit im Bundestag regieren.
»Zwei Wochen im Grab« überschrieb Die Zeit 2003 ihre Reportage über das zweite »Heimkehrer«-Erlebnis, das sich tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen festgesetzt hat, das »Wunder von Lengede«. Am 24. Oktober 1963 passiert ein Grubenunglück im niedersächsischen Bergarbeiterdorf Lengede-Broistedt, das schlimmste in der Geschichte des deutschen Bergbaus. Die Eisenerzgrube »Mathilde« stürzt ein, das Wasser des darüber liegenden Klärteichs 12 schießt hinterher. 129 Arbeiter befinden sich gerade unter Tage. 21 Bergleute retten sich in einen Hohlraum 55 Meter unter der Erde und hoffen auf Rettung. Sie hoffen lange vergeblich.
Bergungsmaßnahmen laufen sofort an, doch die Technik jener Zeit erlaubt nur die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Die meisten Bergleute werden gerettet. Manche sind in der Flut ertrunken oder von Geröllmassen verschüttet worden. Aber wie viele sind vielleicht nur eingeschlossen und damit noch am Leben? Eine Frage, auf die es keine klare Antwort gibt. Der Hüttendirektor lässt die Arbeiten einstellen, weil er die Hoffnung, noch auf
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