Die Ueberlebenden von Mogadischu
dass ich da raus war. So glücklich zu leben [. . . ]. Ich sagte: Jetzt bloß keinen Trauermarsch, bloß ... Und bums, kam der Trauermarsch. Von der Pietät her war es natürlich richtig, aber vom eigenen Erleben her war es fürchterlich.«
Das Protokoll sieht eine Feier mit den Zurückgekehrten und geladenen Gästen vor, doch es kommt auch ein nicht geladener Gast, der für allerhand Verlegenheit sorgt: Monika Schumann, die Witwe des toten Kapitäns, ist von ihrem Wohnort Babenhausen nach Frankfurt gefahren, um, wie sie in der im Mai 1978 ausgestrahlten ZDF -Dokumentation 106 Stunden von Palma nach Mogadischu. Die »Landshut«-Passagiere heute von Ruprecht Eser und Wolfgang Salewski sagen wird, »den Sarg meines Mannes zu holen«.
Aufgrund einer »spontanen emotionalen Regung« geht sie auch zu der Feier. Ganz in Schwarz gekleidet, mit einer dunklen Brille vor den Augen, nimmt sie in einer vorderen Reihe neben dem hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner Platz. »Ich wollte eigentlich herausfinden, ob der Tod meines Mannes irgendwie gerechtfertigt war«, sagt sie in der genannten Dokumentation, »und ich dachte mir, wenn ich ein paar Leute sehe, für die es sich lohnt oder für die es sich gelohnt hat, dass mein Mann gestorben ist, dann dachte ich, ist es für mich vielleicht einfacher. Das war der Grund.«
Vielleicht möchte Monika Schumann mit ihrer Anwesenheit auch daran erinnern, dass es hier nicht nur etwas zu feiern gibt. Möglicherweise will sie zugleich ihre eigene Trauer und die ihrer Kinder öffentlich machen. Monika Schumann gestaltet ihre neue Rolle als Witwe von Jürgen Schumann von Anfang an aktiv mit.
92 Die Verlegenheit ist allseitig. Die Geiseln wirken abwesend, mit sich selbst beschäftigt. Viele kommen erst jetzt, nach dem langen Rückflug aus Mogadischu und dem Wiedersehen mit der Familie, zu sich selbst und brechen in heftiges Weinen aus. Monika Schumann hat sich mit einem mutigen, aber auch trotzigen Schritt in die Szene begeben. Dabei macht sie nicht nur gute Erfahrungen, wie sie in einem Fernsehporträt von Hilde Bechert aus dem Jahr 1993 berichtet. Demnach ging sie vor der Trauerfeier auf Menschen mit der Frage zu, ob sie Geiseln in der Maschine gewesen seien. Da kam es vor, dass ihr brüsk begegnet wurde in dem Sinn: »Lassen Sie mich in Ruhe!« Allerdings wusste auch kaum einer, wer sie ist.
Die mächtigen Männer, die in den Reihen vor den Geiseln Platz genommen haben, retten die Situation nicht. Fernsehbilder zeigen, wie unwohl es dem hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner auf dem Platz neben Monika Schumann ist. Bis eben hat er nicht gewusst, dass sie kommt.
Bundesverkehrsminister Kurt Gscheidle lobt zunächst seinen Chef, den Bundeskanzler: »Helmut Schmidt hat in den vergangenen 120 Stunden das Äußerste, das Menschenmögliche getan, um Sie aus der Gewalt der Verbrecher zu befreien.« Danach drückt er die Freude und Erleichterung über die Rückkehr von Crew und Passagieren aus. »Ich darf Ihnen versichern, dass diese Freude von allen Bürgern unseres Landes geteilt wird.«
Weiter würdigt der Minister die Tapferkeit des ermordeten Flugkapitäns Jürgen Schumann, der Unerlässliches zur Rettung der Geiseln beigetragen habe. »Ohne seine Tapferkeit, ohne seinen Mut hätte die Befreiungsaktion nicht so erfolgreich verlaufen können.«
Neben Gabriele Dillmann sitzt ihr zweitoberster Chef, Werner Utter, der aber, wie sie Rosvita Krausz 1980 erzählt, die ganze Zeit über krampfhaft auf sein Manuskript starrt und kein Wort mit ihr wechselt. »Der Herr Utter hat es nicht mal für nötig befunden, mir ›Guten Tag‹ zu sagen.« Als er an der Reihe war, habe er sich gemäßigt erhoben, »mit würdiger Stimme und würdigem Blick in 93 die Kameras geguckt, ist nach vorne geschritten und hat seine Rede gehalten«.
Als Werner Utter nach seiner Ansprache zurück an seinen Platz geht, hält er bei Jürgen Vietor, der in derselben Reihe sitzt, und flüstert ihm, wie Vietor sich erinnert, ins Ohr: »Herr Vietor, wir machen Sie zum Kapitän!« Der Kopilot soll für seine Verdienste während der fünf Tage vorzeitig befördert werden.
Im Jubel über die Geiselbefreiung bleibt eine Diskussion über die Art und Weise, wie die befreiten Geiseln zu Hause empfangen wurden, aus. Die Selbstmorde von Terroristen in Stuttgart-Stammheim und die Ermordung von Hanns Martin Schleyer im elsässischen Mülhausen treiben die Dramaturgie der Ereignisse weiter. Zu den wenigen Journalisten,
Weitere Kostenlose Bücher