Die Ueberlebenden von Mogadischu
doch dann den lieben Gott gebeten, etwas mitzuhelfen, dass das etwas wird, und hinterher kommt es einem eigentlich auch wie ein Wunder vor, dass 90 [sic] Leute einfach befreit wurden und dabei niemand ernsthaft verwundet wurde. Drei Terroristen tot, eine ins Gefängnis.«
Kurze Zeit später tritt Regierungssprecher Klaus Bölling vor die Presse. Als er im Saal erscheint, applaudieren ihm die Journalistinnen und Journalisten. Das kommt im Leben eines Pressesprechers ziemlich selten vor. Klaus Bölling trägt eine »gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Vorsitzenden der SPD , der FDP , der CDU und CSU und der Ministerpräsidenten der Landesregierungen von Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg und Nordrhein-Westfalen« vor. Persönlich redet er sich frei wie nie vorher und nie mehr danach. Der Damm des kryptischen, nahezu inhaltsfreien Sprechens ist gebrochen. »Die Bundesregierung [...] hatte in diesem Fall nur scheinbar eine Wahl. Hätte die Bundesrepublik Deutschland die elf terroristischen Täter freigelassen, so wären sie alle zurückgekommen, genau wie jene Terroristen, die 80 Peter Lorenz entführt haben. Und wie diese hätten sie neue, schreckliche Mordtaten begangen.« Er dankt der Regierung von Somalia. Deren Entscheidung, die Aktion zu gestatten, sei Voraussetzung dafür gewesen, »dass eine Katastrophe abgewendet werden konnte«.
Er drückt den Angehörigen des getöteten Kapitäns sein Mitgefühl aus. Und er findet einfühlende Worte für die befreiten Geiseln. »Wir waren uns zu jedem Augenblick der schweren Prüfung, der fast unerträglichen seelischen Belastung bewusst, die den Menschen an Bord der Lufthansa-Maschine aufgebürdet war. Wir haben in diesen Tagen stets daran gedacht, wie sich die Angehörigen der Geiseln gesorgt und geängstigt haben.« Zum Schluss entgegnet er geradezu prophetisch auf die Vorwürfe, die der Bundesregierung später gemacht werden, mit dem abstrakten, aber trotzig wirkenden Satz: »Indem wir uns so entschieden haben, waren und sind wir sicher, dass wir auch zum Schutz des Lebens des Einzelnen das Richtige getan haben.«
Mit dem ganz wörtlich glücklichen, weil glücklich machenden Ausgang der Befreiungsaktion – einem Glück, mit dem keiner der Akteure wirklich rechnen konnte – verkehrt sich die Wucht des Kalküls, mit dem die Rote Armee Fraktion spekuliert hatte, in ihr Gegenteil. Die Terroristen der Roten Armee Fraktion hatten mit dieser Entführung, im Bündnis mit ihren palästinensischen Gesinnungsgenossen, alles auf eine Karte gesetzt, und sie haben verloren. Die Internationalisierung des Konflikts, die sie Tage zuvor forciert haben, gereicht ihnen jetzt zum Nachteil.
Es ist jetzt nicht mehr nur eine gewonnene Schlacht von deutschen Polizisten gegen palästinensische Terroristen, sondern ein Sieg der freiheitlich-demokratischen Ordnung über ihre terroristischen Gegner. Weil GSG - 9 -Kommandeur Ulrich Wegener und seine Leute ihre Arbeit gut gemacht haben und dabei viel Glück hatten, ist ein wichtiger, vielleicht entscheidender Sieg über den internationalen Terrorismus errungen worden. »Nutznießer waren nicht nur die Geiseln in dem Lufthansa-Jet in Mogadischu, son 81 dern alle anderen Reisenden auch, die – wenn die Luftpiraten Erfolg gehabt hätten – die Opfer des nächsten Anschlages hätten sein können«, schreibt ein Kommentator der Washington Post in diesen Stunden. In Le Monde heißt es, »auch der leidenschaftlichste Antigermanismus kann nicht verkennen, dass Kanzler Schmidt letzten Endes die freiheitlichen Werte der liberalen Demokratie verteidigt hat.« Der Christian Science Monitor fragt gar: »The world’s last skyjacking?«
Wer die Erleichterung über diese Geiselbefreiung nicht selbst erlebt hat, kann ihre Heftigkeit kaum ermessen. Die Bevölkerung der kleinen Bundesrepublik Deutschland war seit der Entführung von Hanns Martin Schleyer und zusätzlich durch die Entführung einer Lufthansa-Maschine emotional derart angespannt, dass die Nachricht von der »Landshut«-Befreiung zu den unvergesslichen Stunden gleich mehrerer Generationen gehört – der Generationen von Menschen, die von dieser glücklichen Befreiung am Radio oder im Fernsehen erfuhren.
Am Morgen nach der Befreiung der Geiseln in Mogadischu sollen sich wildfremde Menschen um den Hals gefallen sein. Die Erfolgsmeldung, im Autoradio gehört, wird vor Verkehrsampeln von Fenster zu Fenster verbreitet. 1977 gibt es noch kein Handy und kein internettaugliches
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