Die Ueberlebenden von Mogadischu
der »Landshut« sitzenden Cäcilie Meijer-Werner, schreiben direkt an den Bundeskanzler, und das in einem anderen Ton.
»Mein Bruder und ich«, erzählt Horst Meijer-Werner im Gespräch, »haben während dieser Tage an Bundeskanzler Helmut Schmidt geschrieben. Ich weiß nicht mehr, ob es ein Fernschreiben oder ein Fax war, aber wir haben an Helmut Schmidt geschrieben. Sinngemäß stand in unserem Brief: Ihr seid die armen Schweine, die jetzt entscheiden müssen, Ihr seid nicht persönlich betroffen so wie wir, und hiermit bekommt Ihr von meinem Bruder und mir schriftlich, dass Ihr machen sollt, was Ihr für richtig haltet, bis zu den schlimmsten Konsequenzen. Auch wenn die Geschichte für die Geiseln tödlich ausgeht, habt Ihr unseren Segen.« Eine Antwort, so Horst Meijer-Werner, habe er vom Bundeskanzler nicht bekommen.
Wahrscheinlich legt Staatssekretär Ernst Haar den Angehörigen der Geiseln an diesem Sonntag, dem 16. Oktober 1977 , die Entscheidungssituation der Bundesregierung nicht in Gänze dar. Den Partnern, Kindern und Verwandten von Geiseln ist in diesem Augenblick nicht nach politischen Analysen zumute. Sie möchten in ihren Ängsten und ihrem Wunsch, die Forderungen der Terroristen erfüllt zu sehen, verstanden werden. Sie fühlen sich tief erschöpft 78 von den vergangenen Tagen und politisch ohnmächtig, aber sie wollen doch ein persönliches und politisches Zeichen setzen.
Abb. 5 : Das Foto des zehnjährigen Mike Brod (links im Bild sein Vater), dessen Mutter als Geisel in der »Landshut« saß, ging um die Welt. 78
Was bedeutet der von der Bundesregierung gezogene Entscheidungsrahmen für die Geiseln in der »Landshut«? Die Bundesregierung fühlt sich für ihre Rettung verantwortlich, aber nicht in dem von den Geiseln und ihren Angehörigen verstandenen Sinn. Deutsche Terroristen würden allenfalls zum Schein aus ihren Gefängnissen entlassen. Die Geiseln müssen in der Maschine lange ausharren, damit die Bundesregierung mit den Entführern verhandeln und möglicherweise erwirken kann, dass sie aufgeben. Der zu frühe Versuch, eine Entscheidung herbeizuführen, brächte, wie eine Statistik vorausgegangener Entführungen zeigt, für 20 bis 80 Prozent der Geiseln den Tod. Bei früheren Flugzeugentführungen war das Kalkül des Hinhaltens – auch um den Preis erschöpfter, stark traumatisierter Geiseln – zumeist aufgegangen.
Ist eine Aufgabe durch die Entführer nicht zu erwarten, wird eine Befreiungsaktion unausweichlich. Eine Befreiungsaktion gefährdet das Leben der Geiseln wie das Leben der Befreier selbst. Sie bedeutet ein hohes Risiko für die Menschen, die betroffen sind, und ein hohes Risiko für die Bundesregierung, die eine solche Aktion angeordnet hat.
Bundeskanzler Helmut Schmidt weiß um dieses Risiko und stellt sich ihm. Sein persönliches Kalkül lautet: Wenn es wenige Tote zu beklagen gibt, bleibe ich im Amt, denn der Tod weniger muss angesichts dieser tragischen Entscheidungssituation in Kauf genommen werden. Dem Tod weniger steht die Rettung von vielen gegenüber. Wenn allerdings viele Geiseln oder/und Befreier umkommen und die Aktion in der Gesamtbilanz nicht glückt, sondern scheitert, trete ich von meinem Amt zurück. »Dann hätte jemand«, sagt Helmut Schmidt später, »für diesen Fehlschlag die Verantwortung übernehmen müssen. Und das musste ich sein, das war ganz klar.«
Helmut Schmidt trägt sein Rücktrittsgesuch in der Nacht der Entscheidung in seiner Jacketttasche. Er hätte es bei einem Scheitern 79 der GSG - 9 -Aktion, verbunden mit vielen Toten unter den Geiseln und den GSG - 9 -Leuten, hervorgeholt.
Für ihn spitzt sich alles auf die folgenden zwei Unbekannten zu: Werden die Entführer Nerven bewahren oder aufgeben? Welcher Ausgang einer Befreiungsaktion in Mogadischu wird welche Folgen in Bonn haben?
In der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1977 , sieben Minuten nach Mitternacht mitteleuropäischer Zeit, stürmen GSG - 9 -Leute die Maschine, setzen alle vier Entführer außer Gefecht (bei dreien mit Todesfolge) und befreien alle Geiseln lebend, wobei manche verletzt werden, allerdings keine von ihnen lebensgefährlich. Alles geht gut.
»Und ehrlich gesagt, zehn Minuten vorher, bevor es dann gemacht wurde, habe ich noch überlegt, wie unwahrscheinlich groß das Risiko ist«, bekennt Hans-Jürgen Wischnewski Jahre später gegenüber der Journalistin Sibylle Krause-Burger. »Ich bin kein übermäßig religiöser Mensch, aber ich habe
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