Die Ueberlebenden von Mogadischu
Diese Entscheidung wird zur Chefsache. Helmut Schmidt stimmt Wegeners Bedingung zu. Am Tag der Verleihung gibt Werner Maihofer auch bekannt, dass Bundeskanzler Helmut Schmidt den Kommandeur vom Polizeidirektor zum Leitenden Polizeidirektor befördert hat.
Auch die Deutsche Lufthansa wird den Männern der Grenzschutzgruppe 9 danken. Im Januar 1978 schenkt sie nach längerer interner Diskussion jedem Mitglied ein Exemplar des soeben erschienenen Buches GSG 9 – Kommando gegen Terrorismus .
98 Bundeskanzler Helmut Schmidt empfängt am 20. Oktober auch den Kopiloten, die drei Stewardessen und die befreiten Geiseln. Die Angehörigen sind ebenfalls dabei. Bundesverkehrsminister Kurt Gscheidle verleiht den Stewardessen sowie dem Kopiloten für ihr mutiges und umsichtiges Verhalten das Bundesverdienstkreuz. Die Stewardessen erhalten das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Jürgen Vietor erhält das höhere Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor war schon dem ermordeten Jürgen Schumann postum die gleiche Auszeichnung zugesprochen worden.
Den übrigen bei der Verleihung anwesenden Geiseln wird keine Ehrung zuteil. Das Bundesverdienstkreuz sieht eine Würdigung nur dann vor, wenn sich jemand in vorbildlicher Weise verhalten hat. Im Namen der Gemeinschaft Schlimmes ausgestanden zu haben gilt nicht als Verdienst.
Die Stimmung beim Empfang im Bundeskanzleramt ist gelöst, fast fröhlich. Der Junge mit dem Schild bekommt vom Bundeskanzler eine Tafel Milka-Schokolade. Zufällig ist es seine Lieblingssorte. Gabriele Dillmann nimmt im Rollstuhl an der Feier teil, weil sie auf dem verletzten Bein noch nicht lange stehen kann. Jürgen Vietor schiebt sie gut gelaunt durch den Saal. Als Helmut Schmidt auf Gabriele Dillmann zukommt, beugt er sich zu ihr herunter und küsst sie. Jürgen Vietor steht hinter den beiden und lächelt.
Das Foto dieser Szene wird zum Symbol für die Erleichterung jener Tage. Presse und Fernsehen in aller Welt drucken oder zeigen es. Ein großformatiger Abzug davon hängt heute im Essbereich des Hauses von Gabriele und Rüdeger von Lutzau in Michelstadt.
Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski bekommt bei dem Empfang einen Vorgeschmack auf die Rolle, die er künftig wird spielen müssen: den Prellbock für die von der Bundesregierung enttäuschten Geiselopfer. Matthias Rath fragt ihn am selben Tag im Kanzleramt: »Wer gab Ihnen das Recht, uns zum Tode zu ver 99 urteilen? Die Bundesregierung hat uns zum Tode verurteilt. Es ist nur nicht vollstreckt worden.«
Gabriele Dillmann ist in dieser Stunde ein glücklicher Mensch, doch dann kommen ihr Zweifel über die Veranstaltung. »Ich habe erst später begriffen, dass das eine reine Public-Relations-Sache war«, sagt sie 1980 zu der Journalistin Rosvita Krausz, »und dass sie das gebraucht haben, diese Werbung mit dem Bundesverdienstkreuz.« Die Politiker hätten genau gewusst, wie sie sich vor den Journalisten zu verhalten gehabt hätten. Keiner der vielen Minister habe ihr persönlich etwas Freundliches gesagt. Crew und Passagiere seien von ihnen überhaupt nicht persönlich angesprochen worden. »Wir waren Kulisse für die Produktion von einigen Politikern.«
Der Empfang bringt übrigens die vorläufig letzte Begegnung von Politikern und »Landshut«-Geiseln. Eine weitere wird Monate später folgen, nachdem die Geiseln eine Neuauflage erzwungen haben.
Am Freitag, 21. Oktober, findet im hessischen Babenhausen die Trauerfeier für Jürgen Schumann mit anschließender Beerdigung statt. Sein Kopilot Jürgen Vietor geht dem Sarg voraus; er trägt das Bundesverdienstkreuz, das Bundespräsident Walter Scheel postum verliehen hat, auf einem Kissen.
An diesem Tag kommen auch die sechs Geiselopfer, die nach ihrer Befreiung in ein Krankenhaus in Mogadischu aufgenommen wurden, nach Deutschland zurück. Die Lufthansa übernimmt ihren Transport mit einem Sonderflug.
Am Dienstag, 25. Oktober 1977 , wird in der Stuttgarter St.-Eberhards-Kirche ein Staatsakt für den ermordeten Hanns Martin Schleyer abgehalten. Dabei sprechen der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Georg Moser, und Bundespräsident Walter Scheel. Bundeskanzler Helmut Schmidt folgte einer Bitte der Familie Schleyer und verzichtet auf eine Rede. Bischof Moser sagt, wie zuvor schon Helmut Schmidt sinngemäß in seiner Regierungserklärung wenige Tage zuvor: »Eine gründliche Wandlung der 100
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