Die Ueberlebenden von Mogadischu
die über den missglückten Empfang öffentlich nachdenken, gehört Rudolf Walter Leonhardt von der Zeit, der in der Ausgabe vom 28. Oktober schreibt:
»Die Spitzen von Staat und Gesellschaft warteten am Fuß der Gangway mit Blumen, Hessens Ministerpräsident Holger Börner als Erster. Fünf Minister waren eigens mit Hubschraubern aus Bonn eingeflogen worden. [. . . ] Es war ein eigentümlich inkongruentes Erlebnis. Inkongruent auch die Feier [. . . ]. Die Szenen, die sich danach abgespielt haben, möchte ich schnell vergessen: 600 Journalisten stürzten sich auf 60 Geiseln [. . . ].«
Diese Geiseln wollten eigentlich nur nach Hause.
Dabei war der Ablauf dieses Dienstags, des 18. Oktober 1977 , ganz anders geplant gewesen. Ursprünglich sollte es eine gemeinsame Pressekonferenz von Bundesregierung und Lufthansa geben, mit Bundesverkehrsminister Kurt Gscheidle und Lufthansa-Public-Relations-Chef Franz Cesarz auf dem Podium. Franz Cesarz war schon als Podiumsteilnehmer eingeladen, ebenso Journalistinnen und Journalisten als Gäste. Später am Tag – dies geht aus einer internen Notiz vom 19. Oktober 1977 hervor – gibt der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Heinz Ruhnau, unter Berufung auf den Bundeskanzler zwei Weisungen (Zitat nach der Notiz von Franz Cesarz):
94 »a) Die Pressekonferenz darf nicht durchgeführt werden.
b) es sei eine große Veranstaltung zur Rückkehr der geretteten Passagiere durchzuführen. Die Weisung erstreckte sich auch auf Details der Veranstaltung.«
Franz Cesarz nennt in seiner Notiz keinen Grund für die Absage der Pressekonferenz – möglicherweise hatte Heinz Ruhnau selbst die Weisung nicht näher begründet.
Der PR -Chef Cesarz war mit dem Gang der Dinge keinesfalls einverstanden und hatte seine Bedenken tags zuvor auch geäußert. Er fürchtete, dass sich die Journalisten vergrault fühlen und dass sie, wenn sie von der Lufthansa keine ausführlichen Informationen erhalten, »sich trotz aller Absperrungsmaßnahmen, die ohnehin in der Kürze der Zeit nur bedingt wirksam werden würden, verstärkt direkt auf die Passagiere stürzen würden«. Mit seinen Bedenken drang er nicht durch und fühlte sich in seinen Befürchtungen vom Fortgang der Ereignisse bestätigt: »Eingetreten sind eine erhebliche Verärgerung der Presse und eine intensive direkte Befragung von Passagieren.«
Die Pressekonferenz von Bundesregierung und Lufthansa findet erst am Tag nach der Begrüßungsfeier für die Geiseln statt. Zu diesem neu angesetzten Termin wird zunächst kein Vertreter der Lufthansa eingeladen, Franz Cesarz muss das Vorstandsmitglied Werner Utter erst »nachmelden«.
Unbefriedigt bleibt an diesem Tag nicht nur das Informationsbedürfnis der Medien, sondern ebenso deren Sensationsgier:
Für den Abend des 18. Oktober kündigt die ARD einen Brennpunkt an, der sich der Befreiungsaktion in Mogadischu widmet. Nahost-Korrespondent Kurt Stenzel fliegt mit einer der Lufthansa-Maschinen aus Mogadischu nach Frankfurt zurück und kann sein Filmmaterial am Abend live im Studio kommentieren. Bereits im Laufe des Tages verbreitet sich die Nachricht, dass der Brennpunkt am Abend die Fernsehbilder des einzigen Fernsehjournalisten am Ort zeigen wird. Nach einer missverständlichen Auskunft 95 aus dem zuständigen Sender, dem Süddeutschen Rundfunk, wird über eine Agentur die Meldung verbreitet, der ARD - Brennpunkt werde auch Szenen von der Befreiungsaktion bringen. Auf diese Aussicht hin melden sich Fernsehstationen aus aller Welt bei dem Sender mit der Bitte, den Brennpunkt am Abend live übernehmen zu dürfen.
Abends zeigt Kurt Stenzel seine eindrucksvollen Bilder von den befreiten Geiseln in der Flughafenhalle, doch Szenen der GSG - 9 -Aktion sind nicht dabei. Vor ihrem Beginn waren alle Passanten am Flughafen, auch Kurt Stenzel und sein Team, in einem Raum der Flughafenhalle eingeschlossen worden, möglicherweise aus Furcht, sie könnten eine Explosion der Maschine verfolgen und sogar filmen. Viele Vertreter von Fernsehstationen, die den Brennpunkt übernommen hatten, sind von Stenzels »Ausbeute« enttäuscht und beschweren sich beim Süddeutschen Rundfunk, sie hätten die Sendung in dem Wissen, dass es keine Bilder von der Befreiung gibt, nicht übernommen.
Die Woche, in der die »Landshut«-Geiseln freikommen, stürzt Politik und Bevölkerung in ein Wechselbad der Gefühle. In der Nacht auf Dienstag, den 18. Oktober, kommen Crew und Passagiere der Maschine
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