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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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gegen Andreas Baader und die weiteren Mitglieder der Roten Armee Fraktion kam für Bonn zu keiner Zeit infrage. Bundesregierung und Krisenstäbe waren sich des Zielkonflikts, in den sie durch die Entführung von Hanns Martin Schleyer und zusätzlich durch die Entführung der »Landshut« getrieben wurden, voll bewusst. Hat der Staat das Leben seiner Bürgerinnen und Bürger, die sich in akuter Todesbedrohung befinden, in jedem Fall zu schützen – auch um den Preis, dass die Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürgerinnen mutmaßlich gefährdet wird? Der Staat muss für die Sicherheit nicht nur einzelner, sondern aller Bürger sorgen. Die Freilassung von inhaftierten Terroristen hätte die Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland zweifellos verändert. Es ging um eine Abwägung von Rechtsgütern. Was wog schwerer: die Rettung des Einzelnen oder von Einzelnen oder der Schutz von vielen vor möglichem Schaden? Das Bundesverfassungsgericht, das von der Familie Schleyer angerufen worden war, bestätigte die Haltung der Bundesregierung.
    Bei der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ging es nicht mehr nur um Humanität und um den Grundsatz, unter allen Umständen ein Menschenleben zu retten; auch nicht um pragmatisches Handeln nach dem Motto: keinen Präzedenzfall schaffen, nicht zur Nachahmung ermutigen. »Da geht es«, wie Marion Gräfin Dönhoff einmal in der Zeit schrieb, »auch um den Rechtsstaat und damit um die Fundamente der Gesellschaft.« Noch mehr, es ging um ethische Grundüberzeugungen, um die ethische Legitimation von politischem Handeln.
    Die Bundesregierung unter Führung von Helmut Schmidt hatte schon einmal die Abwägung zugunsten eines Einzelnen getrof 130 fen, nachdem der Berliner Politiker Peter Lorenz im Frühjahr 1975 von Terroristen entführt worden war. Die Forderung der Entführer nach Freilassung von inhaftierten Terroristen wurde erfüllt, Peter Lorenz kam frei. Die Serie von Terroranschlägen riss damit nicht ab. Später verübten die Terroristen, die für Peter Lorenz freigepresst wurden, wieder Straftaten in Deutschland. »Es war mein größter Fehler, dass ich bei der Lorenz-Entführung nachgegeben habe«, sagte Helmut Schmidt später.
    Nach dem Fall Lorenz war klar, dass sich die Bundesregierung und Helmut Schmidt persönlich nicht mehr erpressen lassen würden. Hans-Jürgen Wischnewski sagte einmal lakonisch: »Eine Regierung, die erpressbar ist, ist keine richtige Regierung.« An dieser neuen Haltung änderte sich auch nichts, als Hanns Martin Schleyer entführt und die »Landshut« mit 91 Menschen an Bord zum politischen Faustpfand wurde. In einem Telefonat, das Helmut Schmidt mit Schleyers Ehefrau Waltrude am Abend des zweiten Entführungstages führt, sagt er zu ihr: »Sie müssen sich auch auf den lieben Gott verlassen.«
    Die Mitglieder der Krisenstäbe teilten im Kern die Meinung von Helmut Schmidt und Hans-Jürgen Wischnewski: Man konnte nur hoffen, Zeit zu gewinnen und vielleicht das Versteck von Hanns Martin Schleyer zu finden. Blieb ein Fahndungserfolg aus und ließen sich die Entführer – seien es die von Hanns Martin Schleyer, seien es die der Lufthansa-Maschine »Landshut« – nicht länger hinhalten, konnte der oberste Grundsatz, die Sicherheit aller Bürger zu wahren, ein einzelnes Menschenleben (Hanns Martin Schleyer) oder gar viele Menschenleben (die Geiseln in der Maschine) kosten.
    Mit der Ruhe, zu der die früheren Geiselopfer nach ihrer Befreiung finden, werden ihnen diese Zusammenhänge nach und nach bewusst. Die Rettung ihrer Leben hatte zwar hohe Priorität, aber sie war kein Ziel, das alle anderen Ziele staatlichen Handelns überragte. Die Mitglieder von Bundesregierung und Krisenstab wogen vielmehr ganz rational Risiken gegeneinander ab – zuge 131 spitzt formuliert: das Risiko, 87 Geiseln zu opfern, gegen das Risiko, 13 Terroristen aus der Haft zu entlassen. Sie entschieden sich gegen den wahrscheinlichsten Weg, die Geiseln unversehrt aus der Maschine zu holen. Stattdessen wählten sie eine andere, für die Geiseln riskante Handlungsoption, ihre gewaltsame Befreiung. Bei ihr war sehr wahrscheinlich mit Toten zu rechnen.
    Die Wut, die sich jetzt gegen die Bonner Politik aufstaut, speist sich aus einer weiteren Quelle. Jetzt rächt sich eine Entscheidung der Bundesregierung und ihres psychologischen Beraters Wolfgang Salewski, während der gesamten Zeit der Entführung keinen Kontakt zu den Geiseln in der Maschine gesucht zu haben. Die

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