Die Ueberlebenden von Mogadischu
Vertreter der Bundesregierung baten zu keiner Zeit darum, mit einer Vertreterin oder einem Vertreter der Geiseln, etwa mit Gabriele Dillmann, sprechen zu dürfen, und sie ließen auch nichts über Mahmud oder einen der Piloten ausrichten – selbst nachdem Gabriele Dillmann ihre in der Form tapfere, im Inhalt verzweifelte Botschaft an die Bundesregierung abgesetzt hatte, bemühten sie sich nicht um eine Verbindung. So konnten die Geiseln nicht wissen, dass alle Welt mit ihnen bangte. Sogar Papst Paul VI . hatte sich als Geisel im Tausch gegen die Passagiere angeboten.
Dabei war damals schon aus der Aufarbeitung von Geiselnahmen in den Niederlanden bekannt, was der Ordinarius für Psychiatrie der Universität Leiden Jan Bastiaans in der Zeitschrift Psychologie heute vom Januar 1978 schreibt: »Für die Geiseln ist von besonderer Bedeutung, dass sie das Gefühl haben: Die Außenwelt weiß um unsere Lage. Man ist sich draußen der Gefahr bewusst und unternimmt alles, um unser Leben nicht zu gefährden, sondern zu retten.«
»Das, was uns heute noch nachgeht«, sagt zum Beispiel die befreite Geisel Matthias Rath 1988 in einem Hörfunkinterview mit Michael Reissenberger, »dass wir der Meinung sind, es ist unerträglich, eine Regierung zu haben, die behauptet, das wichtigste Gut, das es in ihrem Bereich gibt, ist der Mensch. Und wenn der Mensch in Rede steht, dann meinen sie, sie müssten die Macht 132 des Staates produzieren.« Auf eine zwischen staatlichen und individuellen Interessen abwägende Logik ließ sich Matthias Rath schon früher nicht ein, als er – wie schon erwähnt – den möglichen Tod von 87 Menschen, den »Landshut«-Geiseln, gegen den Tod einer vermutlich geringeren Anzahl von Menschen, zukünftigen RAF -Opfern, aufrechnete. Sein Denken wie auch das der anderen Geiseln folgt der Logik »Leben gegen Leben«.
Gabriele von Lutzau sagt 1979 in dem Radiogespräch Die Träume der Überlebenden mit Gerhard Rein, »wir haben doch fast wie Soldaten unsere Köpfe hingehalten für das Wohl der Regierung und dafür, dass auch diese Regierung eben auch am Ruder bleiben konnte. Denn wenn was schiefgegangen wäre, wäre die ganze Koalition unheimlich hintenruntergefallen.«
Auf die Lähmung direkt nach dem Ereignis folgt der Zorn auf die Frauen (damals in der Politik nur wenige) und Männer, die das Ereignis vermeintlich anders hätten steuern können.
Der Zorn wird durch die Sprachlosigkeit zwischen der Bonner Republik, die am Rückkehrtag in Mannschaftsstärke auf dem Frankfurter Flughafen vertreten war, und den Opfern verstärkt. »Warum kommt keiner, der mal fragt: ›Wie geht es?‹«, fragt die ehemalige Geisel Ernö Kiraly 1978 in der ZDF -Dokumentation 106 Stunden. Zwischen Palma und Mogadischu. Die »Landshut«-Passagiere heute . »Da hätte noch etwas kommen können.« Rhett Waida formuliert in dem Film ähnliche Erwartungen: »Für mich ist es unheimlich wichtig, wenn ich mal irgendjemand von der Regierung sprechen könnte. Ich weiß nicht, mit welchen Herrschaften ich da sprechen möchte, aber das ist für mich ein unheimliches Problem, dass sich seither niemand um uns kümmert, dass man das nicht durchdiskutieren kann, was man möchte. [. . . ] Ich hätte es zum Beispiel unheimlich gut gefunden, wenn wir nur einen kleinen Brief bekommen hätten, und da hätte drin gestanden, ›schön, ihr seid wieder da!‹ [. . . ]. Wir haben nichts bekommen, gar nichts, nicht einen einzigen Brief von der Bundesregierung. Das finde ich schlimm.«
133 Die – vorläufige – Sprachlosigkeit der Bonner Politik könnte mit dem moralischen Dilemma zusammenhängen, in dem sich die Entscheider während des Deutschen Herbstes befunden haben. Nach rationaler Abwägung konnte es keine andere Entscheidung geben, als gegenüber den Forderungen von Terroristen hart zu bleiben, doch das Bewusstsein, damit einen (Hanns Martin Schleyer) oder gar viele Menschen (die Geiseln in der »Landshut«) möglicherweise dem Tod preiszugeben, wog schwer. Helmut Schmidt: »Unausweichlich befinden wir uns damit im Bereich von Schuld und Versäumnis.«
Die Bundesregierung hatte zwar mit der erfolgreichen Befreiungsaktion von Mogadischu Glück im Unglück, doch wurden Jürgen Schumann und Hanns Martin Schleyer ermordet. Schleyers Hilferufe auf Videobändern oder in Briefen ließen selbstverständlich auch die Politiker, die über sein Schicksal zu befinden hatten, nicht kalt. Jetzt sahen sich diese Politiker dem Vorwurf ausgesetzt,
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