Die Ueberlebenden von Mogadischu
Gegenstände geltend machen, die sie gar nicht im Gepäck hatten.
Ungemach kommt auf die Deutsche Lufthansa von anderer Seite zu. Es werden Drohbriefe verschickt, Terroristen kündigen für den 15. November 1977 und die darauffolgenden Tage die Sprengung von drei Flugzeugen als Vergeltung für die drei Selbstmorde im Gefängnis Stuttgart-Stammheim an. »Wir werden für jeden ermordeten Genossen ein Flugzeug in die Luft sprengen.« Die Autoren der Briefe behaupten, alte Raketen aus der Sowjetunion vom Typ Sam 7 zu besitzen. Es handelt sich um tragbare Boden-Luft-Raketen, die im Fall eines Anschlags von einem unbekannten Ort aus auf eine Lufthansa-Maschine gerichtet würden.
Jetzt gilt die von der Bundesregierung verhängte Nachrichtensperre nicht mehr, und die Journalisten geben die verordnete Zurückhaltung auf. »Noch 48 Stunden bis zum Tag X«, zählt die Welt am Sonntag einen »Countdown des Terrors« vor dem 15. November. Kein Wunder, dass die Buchungen bei der Deutschen Lufthansa in diesen Tagen dramatisch einbrechen. »Der Rückgang unserer Passagierzahlen ist gravierend«, heißt es in einer internen Lufthansa-Notiz vom 28. November 1977 .
Schon mit der »Landshut«-Entführung war die Diskussion über bewaffnete Flugbegleiter in Passagierflugzeugen aufgekommen. Diese Debatte erlebt mit den Terror-Drohungen einen neuen Schub. Die Deutsche Lufthansa erteilt der Idee eine Absage, denn es könne, wie es in einer Pressemeldung von Werner Utter aus dieser Zeit heißt, nicht ausgeschlossen werden, »dass solche Sicherheitskräfte, selbst wenn sie in ausreichender Zahl und entsprechend geschult zur Verfügung ständen«, an Bord nicht unentdeckt bleiben. »Die Chance einer bewaffneten Auseinandersetzung 123 während des Fluges bedeutet eine unübersehbare Gefährdung des Flugzeuges und aller seiner Insassen.«
Bei der Gelegenheit räumt Werner Utter noch mit einer anderen Idee auf, die offenbar diskutiert wird: »Die Wirksamkeit von ausgebildeten Karatekämpfern gegen Schusswaffen führende Angreifer ist irreal.«
Anschläge auf Maschinen der Deutschen Lufthansa bleiben nach dem 15. November 1977 aus. Im Lauf der nächsten Wochen stabilisieren sich die Buchungszahlen wieder.
Am 18. November wird die im Monat zuvor entführte und schwer beschädigte Boeing 737 »Landshut« wieder in Dienst gestellt. Die Bild -Zeitung kündigt ihren ersten Flug seit der Reparatur nach Barcelona an.
Lufthansa-Vorstandsmitglied Werner Utter muss in diesen Wochen ein Gespräch führen, das ihm möglicherweise nicht leichtfällt. Er bittet Jürgen Vietor zu sich, um ihm mitzuteilen, dass aus der vorzeitigen Kapitäns-Laufbahn für den Kopiloten nichts wird. Denn die Ausbildung zum Kapitän und Beförderung erfolgt bei der Deutschen Lufthansa von jeher nach dem sogenannten Senioritätsprinzip. Kapitän kann werden, wer für einen ausscheidenden Kapitän aufgrund seiner Berufsjahre nachrückt. Die Deutsche Lufthansa – wie auch fast alle renommierten Airlines weltweit – wünscht in einer solch verantwortungsvollen Position keinen Konkurrenzkampf unter ihren Piloten. Bei erwiesener fachlicher Qualifikation regelt das Senioritätsprinzip die Laufbahn, auch die Ernennung zum Kapitän.
Jürgen Vietor kennt bis heute nicht den Grund für den Rückzieher seines Vorgesetzten. Werner Utter habe ihm, schreibt er in seinen persönlichen Notizen, mitgeteilt, dass er aus verschiedenen Gründen von seinem am 18. Oktober 1977 , während der Begrüßungsfeier für die befreiten »Landshut«-Geiseln gemachten Versprechen abrücken müsse, unter anderem wegen Einwendungen von Kollegen und um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Jürgen Vietor nimmt diese Auskunft enttäuscht, aber in Loyalität zu seinem Arbeitgeber stillschweigend hin.
124 Vor Weihnachten spricht ihn der Gründer des Berufsverbandes Vereinigung Cockpit, Flugkapitän Hans Dieter Gades, auf das Thema an. Hans Dieter Gades ist also über die zeitweiligeAbsicht des Lufthansa-Vorstandes, Jürgen Vietor für seine besondere Leistung während der »Landshut«-Entführung vorzeitig zum Kapitän zu machen, informiert. »Du, da ist gegen dich etwas gelaufen«, sagt Hans Dieter Gades zu Jürgen Vietor, »das müssen wir einmal durchsprechen, wenn ich vom Einsatz zurück bin.« Er kann das angekündigte Gespräch nicht mehr führen. Hans Dieter Gades verstirbt am Silvestertag 1977 in Indien.
Jürgen Vietor ist erst 13 Jahre später, am 4. September 1990 , zum
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