Die Ueberlebenden von Mogadischu
Geschichte vom eiskalten Terroristen, der vom Anfang bis zum bitteren Ende einer Entführung unmenschlich und ohne jede Emotion reagiert, ist frei erfunden.« Geiseln nutzen diesen Umstand, indem sie eine emotionale Bindung zum Geiselnehmer entstehen lassen. Dazu tragen Gespräche über persönliche, beide Seiten be 183 rührende Themen wie die eigenen Kinder oder die Eltern bei. »Die Erregungswelle bei Entführern und Geiseln glättet sich mit der Zeit.«
Je länger eine Geiselnahme dauert, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit für das Überleben der Geiseln. »Der Schlüssel zur möglichen Lösung liegt also im Zeitgewinn.« Nicht nur die Geiseln fallen irgendwann in den Zustand von Erschöpfung und Apathie, auch die Entführer. Dann geben sie auf oder machen Fehler wie in Mogadischu, die eine Rettung der Geiseln möglich machen.
Wolfgang Salewski weiß aus seiner Forschungsarbeit mit Geiselopfern, auch mit den Passagieren in der entführten »Landshut«, es gebe wenige Vorfälle, die die menschliche Psyche derart angriffen wie eine Flugzeugentführung oder eine andere, ähnlich dramatische Geiselnahme. »Dementsprechend gefährlich und rätselhaft können die Spätfolgen nach solch einem Ereignis bei den betroffenen Opfern sein.«
Wie reagieren Opfer auf eine solch traumatische Erfahrung, und wie gehen sie hinterher damit um? Es gibt keine Standardreaktion. »Man kann, überspitzt ausgedrückt, behaupten, dass die Situation im Verlauf einer Geiselnahme die psychischen Merkmale des einzelnen Individuums deutlich verstärkt: Wer ängstlich ist, reagiert in diesem Fall noch ängstlicher, wer dazu neigt, alles eher ruhig und analytisch zu beobachten, wird es auch im Fall einer Geiselnahme tun.«
Die psychische Verarbeitung später geschieht ebenfalls nach keinem bestimmten Schema. Allerdings werden auch jetzt wieder die schon vorhandenen Persönlichkeitsmerkmale verstärkt. Verwundbare Persönlichkeiten leiden besonders stark unter seelischen Folgen, psychisch gefestigte Geiseln können, »nachdem sie den Vorfall verkraftet haben«, intensiver und gefühlsoffener leben.
In jedem Fall erscheint Wolfgang Salewski eine psychotherapeutische Behandlung nach dem Ereignis empfehlenswert. »Besonders, wenn sie von den Geiseln – wie es nach den Vorfällen in Mogadischu vorgekommen ist – vehement gefordert wird.«
184 Andreas Ploeger legt zunächst noch keine Ergebnisse seiner Forschungen an den »Landshut«-Geiseln vor, sondern berichtet über die »tiefenpsychologisch fundierte Psychodramatherapie«, die er in Aachen und Damp 2000 mit den »Landshut«-Opfern praktiziert hat. Diese Psychodramatherapie ist Thema eines Vortrags, den er beim XI . Internationalen Kongress für Psychotherapie im September 1979 in Amsterdam hält. Der Vortrag wird 1980 in einer Fachzeitschrift abgedruckt. Mitautorin ist Rosemarie Schmitz-Gielsdorf, sie hatte die therapeutischen Sitzungen zusammen mit Andreas Ploeger geleitet.
Zunächst nennen die Autoren Zahlen. Von den 86 Geiseln in der »Landshut« sind 65 deutschsprachig. 51 dieser 65 Passagiere standen inzwischen für sein standardisiertes Interview »im Hinblick auf die Angstabwehrprozesse während der Entführung und die seelischen Reaktionen danach« zur Verfügung. Alle 65 deutschsprachigen Passagiere wurden zu einer Psychodramatherapie eingeladen. Etwa 30 von ihnen zeigten Interesse, 16 von ihnen »nahmen nach entsprechender Indikation unsererseits sowie Überwindung organisatorischer Schwierigkeiten« an der Therapie teil.
»Die Indikation zur Teilnahme wurde von unserer Seite dann gestellt, wenn eine oder mehrere der nachgenannten Folgeerscheinungen in einem die persönliche und berufliche Lebensführung beeinträchtigenden Ausmaß vorlagen.« Andreas Ploeger nennt Phobien in Situationen, die an die Situation im Flugzeug erinnern, und Ängste in Begegnungen mit Menschen, deren Äußeres an das Äußere der Entführer erinnert.
»Nach unserer Erfahrung werden auch während der Therapiesitzungen immer noch Details der traumatisierenden Geschehnisse offenbar, die trotz der vielen und eingehenden Vorinterviews noch nicht bekannt waren.«
Andreas Ploeger kommt auf die drei Frauen zu sprechen, die Mahmud zum Tode »verurteilte«, weil er fälschlicherweise annahm, es handele sich um Jüdinnen. Sie sollten sich nach zwölf Stunden bei ihm zur Exekution melden. Mahmud vollstreckte das 185 »Todesurteil« nicht, sondern hob es nach einigen Stunden wieder auf. Bis dahin
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