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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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hatten.«
    Leidvolle Erfahrungen hatten auch schon die Niederlande gemacht, allerdings aus diesen Erfahrungen Konsequenzen für künftige Fälle gezogen. In den 1970 er Jahren versuchen dortige Mitglieder einer molukkischen Widerstandsbewegung durch mehrere Zugentführungen, Geiselnahmen und Besetzungsaktionen die niederländische Regierung zu zwingen, sie in ihrem Kampf für eine von Indonesien unabhängige Republik der Südmolukken zu unterstützen. Am 23.   Mai 1977 , also keine fünf Monate vor dem »Landshut«-Drama, entführen neun molukkische Jugendliche bei De Punt in Drenthe einen Intercity-Zug. Weitere molukkische Ju 178 gendliche besetzen eine Grundschule in Bovensmilde. In dem Schulgebäude befinden sich zu dem Zeitpunkt über hundert Kinder. Nach und nach kommen die Kinder frei, nicht dagegen die Erwachsenen.
    Nach drei Wochen lässt die niederländische Regierung Zug und Schule stürmen. Beim Sturm des Zuges sterben zwei Geiseln, die der Aufforderung der Polizisten, sich auf den Boden zu werfen, nicht gefolgt waren, und sechs der neun molukkischen Geiselnehmer. Am selben Tag findet die Geiselnahme in der Schule ein unblutiges Ende.
    Zum Initiator für die therapeutische Arbeit, die sofort nach den beiden Geiselnahmen mit den Opfern beginnt, wird der Psychiater Jan Bastiaans. Er bildet Projektgruppen, die sich um die Geiseln, aber auch um die Familienmitglieder und weitere Schlüsselfiguren in der persönlichen Umgebung kümmern. Jan Bastiaans hatte jahrelang über das sogenannte KZ -Syndrom geforscht, das heißt über die Frage, welche Folgeschäden eine so lebensbedrohende Situation wie Haft und Folter bei Menschen auslösen kann. Eine Geiselsituation ist zwar nicht dasselbe wie der Aufenthalt in einem Konzentrationslager, doch ist Jan Bastiaans überzeugt, dass »im Prinzip, wenn auch mit geringerer Intensität, derselbe Prozess abläuft«. »Wir wussten schon aus der Nachkriegszeit«, begründet Jan Bastiaans seine Therapiemaßnahmen in Psychologie heute im Januar 1978 , »dass die meisten Praktiker und Hausärzte nicht genügend trainiert sind, derartige Probleme mit ihren Patienten zu besprechen. Sie verschreiben sofort Psychopharmaka, messen den Blutdruck, und dann ist der Fall für sie erledigt. Sie haben nicht gelernt, sich mit den Patienten über Krisensituationen zu unterhalten.«
    Genau diese Erfahrung machen indes viele befreite Geiseln aus der »Landshut«. Und sie erleben, was Jan Bastiaans bei den niederländischen Geiselopfern schon beobachtet hatte: »Plötzlich gab es Probleme zwischen Ehepaaren: Der Mann hatte das Gefühl, seine Frau verstehe nicht, was er durchgemacht habe. Und die Frau 179 meinte, ihr Mann könne gar nicht ermessen, welche Ängste sie um ihn ausgestanden habe.«
    Von Jan Bastiaans hätten die Deutschen erfahren können, dass Kinder das Trauma in der Regel gut bewältigen und dass junge Entführungsopfer damit besser fertig werden als ältere. Junge Menschen sind in ihrem Anpassungsverhalten flexibler und stellen sich auf die Ausnahmesituation einer Flugzeugentführung besser ein. Es gibt Beispiele älterer »Landshut«-Geiseln, die an dieser Erfahrung psychisch zerbrochen sind.
    Jan Bastiaans hatte auch schon erkannt, dass manche Geiseln sofort, andere dagegen erst später körperlich auf das traumatische Ereignis reagieren – wie auch bei einigen der »Landshut«-Opfer geschehen. Manche leiden sofort nach ihrer Befreiung unter Zivilisationskrankheiten wie erhöhtem Blutdruck, Magengeschwüren, Asthma oder rheumatischen Beschwerden. Der Körper reagiert dabei auf eine Schädigung der Seele. Andere Exgeiseln bekommen erst nach einem Jahr oder noch später Schlafstörungen oder Angstzustände.
    Ein Ergebnis, zu dem Andreas Ploeger in der Auswertung seiner Arbeit an »Landshut«-Opfern kommt, nimmt Jan Bastiaans bereits im Januar 1978 vorweg: Nicht in jedem Fall beeinträchtigt die traumatische Erfahrung das weitere Leben, auf manche frühere Geisel kann sie sich auch positiv auswirken. Dies gilt zum Beispiel, so Jan Bastiaans, »bei Menschen, die nie etwas erlebt haben und nun plötzlich mit den Grundproblemen menschlicher Existenz konfrontiert werden. Es gibt Menschen, die nie weiter über ihr Leben nachgedacht haben und dies nach einem so existenziellen Erlebnis plötzlich tun.« Das ist aber nicht die Regel. Folgeschäden sind nach einem Schockerlebnis wie einer Entführung wahrscheinlicher.
    Eine durch politische Gewalt traumatisierte Person, so Jan

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