Die Ueberlebenden von Mogadischu
feststellbar ist. So kann man vielleicht mit Kaninchen umgehen, aber nicht mit Menschen! Welchen Sinn sollte es haben, bei einem Menschen nur die Wunden aufzureißen und danach nichts zu tun, um sie wieder zu heilen? Das diente Forschungszwecken. Wir waren Versuchskaninchen. Nach Damp 2000 konnte ich überhaupt nicht mehr schlafen und tagsüber habe ich hinter jedem Busch einen Terroristen gesehen. Ich ließ mich auf so etwas nicht mehr ein, jetzt musste erst einmal meine Seele heilen.«
Andreas Ploeger hatte in einem Brief vom 28. März 1979 von weiteren gruppentherapeutischen Sitzungen nach dem ersten Treffen in Aachen geschrieben, offenbar also eine Begleitung der Geiseln über längere Zeit hin vorgesehen. Doch bereits nach den Treffen in Damp 2000 ist Schluss. »Nach zwei Gruppensitzungen konnten sich Therapeut und Ministerium für Arbeit und Soziales über das Honorar des Mediziners nicht einigen«, schrieb Jutta Duhm-Heitzmann im November 1982 in der Zeit . Die Behandlungen wurden eingestellt.
Gabriele von Lutzau hält nach Damp 2000 nicht mit ihrem 176 negativen Eindruck von Andreas Ploegers Arbeit hinterm Berg. Andreas Ploeger, so erzählt sie, erfährt von dieser Kritik und ruft sie an. Er verweist darauf, dass er sich bei den Ministerien erst um eine Therapiemaßnahme bemühen musste, nachdem die Ministerien nicht von selbst aktiv geworden seien. »Fast alle Schäden wären therapierbar gewesen«, wird Andreas Ploeger in dem genannten Artikel von Jutta Duhm-Heitzmann zitiert, »ein Drittel von ihnen hätte dringend behandelt werden müssen.« Seine Arbeit mit den Betroffenen kommt viel zu spät und erreicht auch nur wenige von ihnen.
Es gibt auch Beispiele von Geiseln, die ein persönliches Vertrauensverhältnis zu Andreas Ploeger entwickeln. Sie entschließen sich, wie etwa Jürgen Vietor, der weder in Aachen noch in Damp 2000 dabei war und die Berührung mit dem Ereignis jahrelang vermied, zu einer Einzeltherapie bei ihm.
Auch Horst Gregorio Canellas macht bei Andreas Ploeger eine Therapie. Er tritt sogar im Jahr 1990 gemeinsam mit seinem Therapeuten in der Talkshow Nachtarock des Westdeutschen Rundfunks auf, zusammen mit den früheren Geiseln Jutta Knauff und Diana Müll sowie dem jetzt schon pensionierten GSG - 9 -Kommandeur Ulrich Wegener.
»Ich habe unter der besonderen Belastung gestanden«, sagt Horst Gregorio Canellas darin, »mein Kind in der Maschine zu haben, das mich seinerzeit fragte, als wir wieder bedroht wurden, wir würden erschossen: ›Vater, tut eine Kugel weh?‹«
Die verzögerte und dann immer noch ungenügende therapeutische Betreuung der »Landshut«-Geiseln erscheint umso unverständlicher, als es bereits einschlägige Erfahrungen gab, allerdings nicht in Deutschland, sondern nach ähnlichen Ereignissen in den USA und den Niederlanden. Die Ergebnisse dieser therapeutischen Erfahrungen waren in der Bundesrepublik Deutschland spätestens seit deren Publikation in so weit verbreiteten Medien wie dem Spiegel (Ausgabe vom 24. Oktober 1977 ) oder der Zeitschrift Psychologie heute , Januar-Ausgabe 1978 , bekannt.
177 Zwischen dem 9. und 11. März 1977 besetzen zwölf afro-amerikanische Muslime in Washington drei Gebäude, darunter das Hauptquartier des B’nai B’rith, einer der größten, weltweit organisierten jüdischen Vereinigungen. Sie töten zwei Menschen und nehmen 149 Geiseln. Nach 39 Stunden kommen alle Geiseln frei.
Der Bericht von amerikanischen Psychiatern und Sozialhelfern, die sich danach der Geiseln annehmen, enthält die folgenden Passagen.
»Das Erlebnis des Geiseldramas wirkte sich zwangsläufig auch auf die Familien der Opfer aus. Oft hatten die Geiseln große Schwierigkeiten, ihr Bedürfnis nach Zuspruch oder auch nach Alleinsein verständlich zu machen. Einige Geiseln fühlten sich ihren Freunden und Familien gefühlsmäßig entfremdet oder verspürten nunmehr Unzufriedenheit mit ihrer Ehe und ihrem Leben generell. [. . . ]
Am Schluss der letzten Therapie-Sitzung gingen wir in den achten Stock des B’nai-B’rith-Gebäudes, um sicherzustellen, dass alle diesen Raum, in dem sie als Geiseln gefangen gehalten worden waren, wieder ohne Angst betreten konnten. Während der 25 Minuten, die wir dort verbrachten, erinnerten sich viele Geiseln an die Vorkommnisse jener Schreckensstunden. Einige lachten, einige weinten, andere waren dankbar, dass Maler und Zimmerleute den Ort des Geschehens nun in einen normalen Konferenzraum verwandelt
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