Die Ueberlebenden von Mogadischu
jedoch, so Andreas Ploeger, hätten die Betroffenen ausgeharrt, »um nur nicht den gesetzten Termin zu versäumen«.
Die Identifikation mit dem allgemein als stabil, selbstsicher und überlegen erlebten Kapitän Schumann habe Sicherheit vermittelt. »Seine Erschießung durch den Terroristenführer war für die Passagiere wie die Entfernung eines Teiles ihres Selbst und hatte eine Erhöhung des Angstpegels zur Folge.« Ein Passagier habe die Erschießung in dem Augenblick für gerechtfertigt gehalten und sich mit dem Tribunal der Terroristen identifiziert; hinterher machte sich dieser Passagier schwere Vorwürfe über dieses für ihn später unverständliche Verhalten.
Eine derartige »Identifikation mit dem Angreifer« als Angstabwehr sei in mehr oder weniger starkem Maße bei vielen der Entführten deutlich gewesen. »In extremster Form war sie bei einer der misshandelten angeblichen Jüdinnen aufgetreten, welche berichtete, dass sie auf dem Höhepunkt ihrer Qual dem sie züchtigenden Mahmud gegenüber den einzigen Wunsch hatte, er möge sie als seine Freundin und Vertraute in seine Organisation aufnehmen, sie in seinen Lagern ausbilden und an seinen Unternehmungen teilhaben lassen.«
Befreite Geiseln mussten sich nicht nur mit ihrem eigenen Verhalten während der Entführung auseinandersetzen, sondern auch mit dem in der Paarbeziehung. Nicht »Wer bin ich?« war jetzt die bestimmende Frage, sondern »Wer bist du, mein Partner?«. Das Verhalten angesichts des Todes habe offenbar, besonders aufseiten der Frauen, zu einer basalen Enttäuschung gegenüber dem Partner geführt, »woraus zumindest eine tiefgreifende Krise, in zwei Fällen eine Trennung erwuchs«.
Andreas Ploeger spricht unter anderem auch beim 6. Kongress »Psychologie und Medizin« im Mai 1986 in Berlin über seine Forschungsergebnisse. Es haben sich zu diesem Zeitpunkt nach seiner Aussage schon sieben Paare, die in dem entführten Flugzeug waren, darunter zwei verheiratete, getrennt, weil die Frauen von 186 ihren Partnern in der Situation der Entführung keinen Zuspruch erfahren hätten.
Zusammen mit Joachim Schmitt entwickelt Andreas Ploeger das Phasenmodell einer Flugzeugentführung, das Joachim Schmitt in einer Doktorarbeit von 1987 ausführlich erläutert. Beide rekonstruieren dabei den Verlauf der Traumatisierung. Andreas Ploeger und Joachim Schmitt interessieren die »Mechanismen des Terrors« (wobei sie den Begriff selbst in Anführungszeichen setzen).
Ihren Untersuchungen zufolge dauert die erste Phase, eine Phase der Reizüberflutung, nur wenige Sekunden: Die Entführer übernehmen das Kommando über die Maschine, sie schreien und fuchteln mit ihren Waffen herum. Die Frauen und Männer auf ihren Plätzen werden von vielerlei Reizen überflutet, sie können das Geschehen noch nicht begreifen. »Es waren so ungewohnte Geräusche, dieses Trampeln«, »ich dachte, mir steht der Verstand still, als ich die Handgranaten sah«.
In der zweiten Phase unterwerfen sich die Entführer ihre Geiseln. Sie geben Kommandos, treten brutal auf und isolieren die Personen, die in der Gruppe zusammengehören, voneinander. Vermeintlich starke Männer werden an die Fensterplätze gesetzt, damit sie die Entführer nicht spontan angreifen können. Joachim Schmitt nennt diese Phase »die konsequente Umorganisation der Flugzeuggesellschaft ins Geiselkollektiv«. Eine für diese Phase typische Beschreibung lautet: »Die haben uns immer beobachtet, wie wir gucken, und wenn einer der Insassen den Terroristen nicht gefiel, dann wurde der auch schlecht behandelt.« Manche Geiseln machen die Unterwerfung willig mit und entwickeln Sympathien für die Motive der Entführer – bis hin zu dem Wunsch, die Seite zu wechseln.
Phase drei ist die Phase der Deprivation – die Geiseln konzentrieren ihre Energie auf das weitere Funktionieren. Angesichts eines von den Entführern erzeugten Sauerstoff-, Wasser-, Nahrungs- und Schlafmangels tritt ein kruder Selbsterhaltungstrieb der Geiseln hervor. Das gegenüber dem Partner oder der Gruppe 187 gängige Sozialverhalten stirbt ab. »Es gibt eben Menschen, die sind schneller mit den Fingern als andere.«
In Phase vier, einer Phase der Konfusion, versetzen die Entführer die körperlich geschwächten Geiseln in ein Wechselbad der Gefühle, um sie auch mental zu schwächen. In diese Phase fallen die Unterwerfungs- und Exekutionsrituale und der »Großmut«, die Opfer dann doch am Leben zu lassen. Die Situation kann von einer
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