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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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[. . . ] gar nicht verdient gehabt [. . . ], musste der damals nun sterben?« Geiseln, die das erlebte Leid in der Situation stark auf sich bezogen, bekommen später Selbstzweifel, üben Selbstkritik. Sie werden mit der traumatischen Erfahrung in der »Landshut« weniger gut fertig. In derselben Situation, so das Fazit von Beate Hagenkötter, nehmen Menschen diese Situation unterschiedlich wahr. Manche Geiseln reagieren auf unterschiedliche Situationen während der Entführung immer gleich. Zwischen den objektiven Bedingungen einer Situation, ihrer Wahrnehmung durch die Geiseln und der späteren Verarbeitung der Situation gibt es einen direkten Zusammenhang.

190 Posttraumatische Belastungsstörung
    Eine besonders schwere Belastung ist meistens ein traumatisches Ereignis. Das Wort »Trauma« kommt aus dem Griechischen und bedeutet »Wunde« oder »Verletzung«. In der Psychologie und der Medizin versteht man darunter Ereignisse, die Menschen psychisch verletzen.
    Es gibt sehr unterschiedliche Formen von Traumata – solche, die kurz dauern, solche, die lang dauern; solche, die von Menschen verursacht werden; solche, die durch Naturkatastrophen oder technische Katastrophen ausgelöst werden.
    Die Entführung der »Landshut« über 106 Stunden war ein einmaliges, kurzzeitiges Trauma, das durch zwei Frauen und zwei Männer (»Entführungskommando«) verursacht wurde. Andere Traumata dieser Art können ein Überfall oder eine Vergewaltigung sein.
    Lang dauernde, sich wiederholende Traumata dieser Kategorie sind Kriegserlebnisse, Geiselhaft (über Wochen und Monate), Folter oder sexuelle und körperliche Gewalt in der Kindheit.
    Einmalige, kurz dauernde Traumata aufgrund von Naturkatastrophen oder technischen Katastrophen sind Unfälle, Brände, Erdbeben oder eine Flut (etwa die Tsunami-Katastrophen in den letzten Jahren in Asien). Langdauernde, sich wiederholende Traumata aufgrund von Naturkatastrophen oder technischen Katas­trophen können Dürre, Überflutungen und Hungersnöte sein.
    Nach einem Ereignis tritt zunächst eine posttraumatische Belastungsreaktion ein. Diese Reaktion wird zu einer posttraumatischen Belastungsstörung, wenn sie länger als 30 Tage anhält. Eine posttraumatische Belastungsreaktion – oder bei längerer Dauer eine Störung – kann auch erst, wie es bei Opfern der »Landshut«-Entführung passiert ist, einige Monate oder gar Jahre nach dem Ereignis auftreten.
    Eine posttraumatische Belastungsstörung verändert immer das Verhalten der oder des Betroffenen. Sie oder er fühlt sich bei vielen 191 Gelegenheiten an das Ereignis, das sie oder ihn seelisch verwundet hat, erinnert – dazu reicht ein bestimmter Geruch, der Klang einer Stimme, ein Geräusch oder anderes. Charakteristisch ist, dass die belastenden Bilder und Erinnerungen scheinbar wie aus dem Nichts auftauchen: Jemand steht am Bahnhof und sieht »seinen« Entführer oder Vergewaltiger wieder.
    Mit einer posttraumatischen Belastungsstörung gehen oft auch körperliche Veränderungen einher, die sich nicht näher erklären lassen. Eine solche Folge könnte sein, dass jemandem plötzlich auf dem Hinterkopf keine Haare mehr wachsen, wie es der früheren »Landshut«-Geisel Jutta Knauff passiert ist.
    Unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet jemand, der einer bedrohlichen Situation ausgesetzt war, die eine Gefährdung der eigenen Gesundheit oder gar des eigenen Lebens bedeutet hat. Aber auch Situationen, in denen jemand die Bedrohung anderer Personen miterlebt hat, etwa als stiller Zeuge, können eine posttraumatische Belastungsstörung auslösen. Die stille Zeugin oder der stille Zeuge erlebte in dieser Situation große Furcht, Entsetzen und Hilflosigkeit – mit dieser Erfahrung kommt sie oder er hinterher nur schwer zurecht.
    Während der 106 Stunden in der entführten »Landshut« kam es zu beiden Varianten traumatischer Ereignisse: Die Frauen und Männer waren Opfer einer Entführung mit vielen Einzelerfahrungen wie großer Hitze, Demütigung und Todesbedrohung. Weiter mussten sie die Erschießung von Kapitän Jürgen Schumann miterleben. Widerspruch oder gar Widerstand gegen die – aus Sicht der Entführer – »Exekution« hätte sie das eigene Leben gekostet.
    Die Kaperung der Maschine durch vier Terroristen, die Ermordung von Jürgen Schumann und das Übergießen der Geiseln mit Alkohol und Parfum, »damit ihr besser brennt«, gelten als die gravierendsten traumatischen Situationen während der 106 Stunden

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