Die Übermacht - 9
um selbst einen Schluck zu trinken. Geradezu deprimierend jung war die Morgensonne, die durch das vereiste Fenster hinter Caylebs Sessel fiel. Sergeant Edwyrd Seahamper stand vor der Tür des kleinen Speisezimmers, um den Regenten wenigstens ein wenig Privatsphäre zu verschaffen.
Ebenso wie das kaiserliche Paar hörte auch Seahamper Merlins Stimme. Möglich war das nur durch einen fast unsichtbaren, transparenten kleinen Ohrhörer. Im Gegensatz zu seinen Regenten war der Sergeant nicht in der Lage, sich aktiv an diesem Gespräch zu beteiligen. Denn er hatte (wieder im Gegensatz zu seinen Regenten) niemanden, der ihn bewachte und dafür sorgte, dass niemand zufällig vorbeikam und miterlebte, wie besagter Sergeant anscheinend Selbstgespräche führte.
»Ich hatte Euch gesagt, dass ich diesen Test so rasch wie möglich durchführen wollte, Cayleb – sobald Owl und ich die letzten Eloka-Emitter vor Ort hätten«, gab Merlin nun milde zurück. »Und Ihr und Sharleyan wusstet auch, dass Seijin Merlin die nächsten Tage in stiller Meditation verbringen würde. Das war die Tarngeschichte, um die Tests durchführen zu können, wenn ich mich recht erinnere. Ich möchte dezent darauf hinweisen, dass mein Gedächtnis nicht auf fehlbare organische Komponenten angewiesen ist.«
»Sehr witzig, Merlin!«, gab Cayleb zurück.
»Ach, jetzt sei doch nicht so ein Erbsenzähler, Cayleb!«, schalt ihn Sharleyan lächelnd. »Alahnah hat uns letzte Nacht durchschlafen lassen. Wenn Merlin also bereit war, uns ebenfalls unseren Schlaf zu gönnen, bin ich die Letzte, die sich darüber beschwert! Außerdem, Liebster, glaube ich nicht, dass sich aus den Reihen unserer Ratgeber jemand beklagen würde, weil du letzte Nacht auch ein bisschen mehr zur Ruhe gekommen bist als sonst. In letzter Zeit warst du häufig ein wenig grantig.«
Cayleb warf ihr einen beleidigten Blick zu. Doch Sharleyan schüttelte nur den Kopf.
»Bitte fahrt mit Eurem Bericht fort, Merlin!«, sagte sie dann. »Bevor Cayleb noch etwas herausrutscht, was wir dann bedauern, egal, ob er es tut oder nicht!«
Vom fünften und letzten Teilnehmer des Gespräch stammte der Laut, der bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem erstickten Lachen hatte.
»Das habe ich gehört, Ehdwyrd!«, maulte Cayleb.
»Ich weiß wirklich nicht, was Ihr meint, Euer Majestät. Oh, Entschuldigung, Euer Durchlaucht! Schließlich befinden Ihr Euch ja derzeit in Chisholm«, erwiderte Ehdwyrd Howsmyn unschuldig aus seinem Studierzimmer im weit entfernten Alten Königreich Charis.
»Klar, war ja zu erwarten! Sie wissen nicht, was ich meine – ha!«
»Ach, still jetzt, Cayleb!« Unter dem Frühstückstisch versetzte Sharleyan ihrem Gemahl einen Tritt gegen das Schienbein. »Sprecht weiter, Merlin, rasch!«
»Euer Wunsch ist mir Befehl, Eure Majestät«, versicherte Merlin ihr. Cayleb indes massierte sich mit der rechten Hand das schmerzende Schienbein und tat, als drohe er ihr mit der zur Faust geballten Linken.
»Wie ich schon sagte«, fuhr Merlin fort und klang nun deutlich sachlicher als zuvor, »sieht bislang alles recht gut aus. Die Sensoren des Schwebeboots ebenso wie die SNARCs, die Owl für mich überwacht, melden, es gäbe dort eine Vielzahl Dampfmaschinen, die entweder stationär arbeiten oder kreuz und quer durch die Landschaft tuckern. Das läuft jetzt schon seit mehr als sieben Stunden so. Bislang haben darauf weder die Plattformen für kinetisches Bombardement reagiert noch die Energiequelle unterhalb des Tempels, bei der ich nicht genau weiß, für welche Aufgaben sie Energie bereitstellt. Wir gehen davon aus, dass die ›Erzengel‹ tatsächlich eine Art automatisiertes Technologieüberwachungssystem eingerichtet haben, das jegliche unzulässig hochentwickelte Technologie umgehend zerstört. Wenn dem so ist, scheinen Dampfmaschinen noch nicht hochentwickelt genug zu sein, um den Alarm auszulösen.«
»Ich wünschte beinahe schon, wir hätten denen wenigstens irgendeine Reaktion entlockt«, meinte Cayleb. Der gespielt-finstere Blick für Sharleyan war Nachdenklichkeit gewichen. »Mir wäre lieber gewesen, wenn die Plattformen so etwas wie ›Schaut mal, ich habe Dampfmaschinen gefunden!‹ an den Tempel geschickt hätte und dann nichts passiert wäre. Dann nämlich wüssten wir ganz sicher, dass es eine Art Meldeschleife gibt und diesem Ding unter dem verdammten Tempel Bericht erstattet wird. So aber könnte irgendetwas dieses Ding unter dem Tempel dazu bringen, seine Meinung zu
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