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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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Schule. Ich habe den Eindruck, die Wirklichkeit findet bei ihm nur noch durch alte Geschichten Einlaß.«
    Helene nickt und schiebt mit der Gabel ein Stück Rote Beete auf dem Teller hin und her.
    »Der Matjes ist gut«, sagt Hinrich, »wo haste den her?«
    »Von deiner Tante.«
    »Hat sie dich erkannt?«
    »Nein. Habe auch nichts gesagt, wollte dieses übliche Gespräch vermeiden: meine Güte, Fokko, was bist du groß, erwachsen, alt geworden! Willste ´nen Hering? Wie geht’s dem Vater und so weiter…«
    »Wirste am Ende nicht drumrum kommen«, sagt Hinrich und grinst.
    Nach dem Essen fragt er nach Merreth.
    »Hast du sie gefunden?«
    »Ja und nein.«
    Helene lächelt sibyllinisch.
    »Sie arbeitet im Rathaus von Jemgum.«
    »Und?« fragt Hinrich.
    »Nichts. Ich hatte erst die Sache mit meinem Vater vor.«
    Hinrich schaut ihn an, als habe ihm ein Fahrgast den Vorschlag gemacht, für das halbe Geld bis zur Mitte des Flusses mitzufahren, um den Rest der Passage zu schwimmen.
    »Eigentlich…«, sagt Fokko, erhebt sich und beginnt mit einer Entschiedenheit Geschirr und Besteck zusammenzuräumen und in die Spüle zu stellen, als führe jeden Moment sein Bus. Aber der Freund schaut ihm hinterher.
    »Eigentlich?«
    »Ich kenne sie überhaupt nicht.« Er setzt sich wieder, nimmt das Päckchen Tabak, öffnet es und sucht darin herum. »Habe nicht ein einziges Wort mit ihr gewechselt. Was ich dir erzählt habe, ist alles phantasiert. Ich wünschte, es wäre so gewesen, mit ihr in der Bahn ohne Fahrkarte unterwegs nach Amsterdam und so weiter.«
    »Und woher weißt du ihren Namen?«
    »Es hat mit der Uhr zu tun, du weißt schon.«
    Hinrich wiegt bedächtig den Kopf.
    »Kann mir was denken.«
    Helene lächelt ratlos.
    »Eigentlich«, sagt Hinrich, »heißt das, du hast also überhaupt kein einziges Wort mit ihr gewechselt?«
    Fokko schüttelt den Kopf.
    »Und bist nur ihretwegen gekommen?«
    »Ja, nein…«
    »Was denn nun?« Hinrich hat jetzt wieder den Blick des U-Boot-Kommandanten.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und was willst du jetzt machen?«
    Mit einer langsamen Bewegung schließt Fokko das Päckchen Tabak wieder und legt es auf den Tisch. »Keine Ahnung. Erst einmal schlafen. Ich fühle mich, als hätte ich all die Jahre in der Stadt zu wenig Schlaf bekommen, Nacht für Nacht einen riesenhaften Schuldenberg aufgehäufelt, den ich jetzt abtragen muß.«
    »Was hast du mit dem Haus in Pogum vor?«
    »Drin wohnen.«
    »Und Arbeit?«
    »Auch.«
    Fox nickt. »Vernünftig.«
    Ohne jedes weiteres Wort, nur mit einem kurzen Blick zu den beiden, verläßt Fokko die Küche und geht zu Bett. Im Einschlafen hört er von irgendwo im Haus Helenes Lachen, und im Schlaf scheint es ihm immer wilder, immer gequälter zu klingen.

Kapitel 11
     
    Am nächsten Morgen, Fox ist längst auf der Ems und hat seine Lehrerin gewiß schon ans andere Ufer gebracht, packt Fokko seine Habseligkeiten zusammen, nimmt den Rucksack auf den Rücken, stellt den Koffer auf den Gepäckträger, schiebt das Rad bis nach Pogum und schließt das Haus seines Vaters auf.
    Es ist ein ruhiger Tag. Der Wind spielt gelangweilt in den schwarzen Baumkronen, einige Wolken ziehen zerrissen über den hohen, milchigen Himmel, und das Tageslicht liegt auf dem Land wie von einer alten, fleckigen Deckenlampe. Obwohl er mehr als zehn Stunden geschlafen hat, steckt die Müdigkeit in ihm wie ein zähes Gebrechen. Er schickt den Wind durch das Haus, heizt den Herd an, macht Tee, setzt sich an den Küchentisch und denkt darüber nach, was zu tun ist. Dies hier ist nicht länger mehr seine konservierte Kindheit. Er wird in diesem Haus nicht wohnen, um es irgendwann zu verlassen, er wird hier leben. Das eicherne Bett der Eltern wird er verfeuern oder Bücherregale daraus bauen, die Wand zwischen Schlafzimmer und Stube wird er einreißen, so daß ein großer Raum entsteht, in dem er in der Hauptsache leben wird: um zu lesen, schreiben, Musik hören und schlafen. Im Frühling wird er schauen, was im Garten wächst, im Herbst wird er die Kammer unter dem Dach ausräumen, im Winter Holz schlagen und die Werkstatt aufräumen, nächstes Jahr wird er ein Buch schreiben über die Meister des Goldenen Zeitalters, aber zunächst wird er nach Jemgum fahren, um sich im Rathaus umzumelden.
     
    Auf der Hofstraße kommen ihm mit flatternden Gewändern und großen Plastiktüten zwei kleine Heilige Könige entgegen, bei Hamelmann steigt weißer Rauch aus dem Schornstein, und vom Sportplatz her sind

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