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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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der Frühe, wenn die Schlickfischer unterwegs sind, nach ein paar eleganten Kapriolen in das Watt stürzte.
    Er hält das Kreuz in der Hand.
    Das Taschenmesser war vom ersten Tag an ein praktisches Erbstück, und der Vater trug und nutzte es, bis er es dem Sohn vermachte. Aber der Orden besitzt keinen Wert, nur vielleicht für den, der damit für was auch immer ausgezeichnet wurde. Also gehört er mit ins Heldengrab und nicht in die habsüchtigen Finger eines Tischlerlehrlings. Es wird ihm bald leid getan haben, aber der Fehlgriff war schlecht gutzumachen, es gab kein Grab des unbekannten Soldaten, dessen Leiche, kurz nachdem der junge van Steen bei Freesemann Meldung gemacht hatte, in einen merkwürdigen militärischen Kastenwagen getragen und fortgefahren worden war. Auch konnte er sich das Ding schlecht an die Brust heften oder einfach auf das Wasser des Dollart hinausschallern, wo es wie sonst ein Überbleibsel des großen Krieges für tausend Jahre versunken wäre. So hat er den Orden unter dem Kandis begraben, und dort soll er jetzt auch bleiben, weil seine Gesellschaft der Zauberuhr etwas Unverfängliches gibt. Er legt die Uhr und den Orden in die Dose, gibt den Zucker drüber und stellt alles in den Küchenschrank zurück.
    Das Haus gehört seit langem der Familie. Es ist ein Vermächtnis, obwohl sein Vater nie ein einziges Wort darüber verloren und wohl auch nichts schriftlich hinterlassen hat. Im Wohnzimmer steht sein Gesellenstück, ein Sekretär aus Kirschholz, darin bewahrt er alles Schriftliche auf, und wenn Fokko ihn dort selten einmal mit Sparkassengeschäften oder über einem Brief sitzen sah, kam er ihm immer wie ein fehlbesetzter Schauspieler in einem trivialen Stück vor. Der Vater gehört in die Werkstatt, in den Garten oder an das Wasser. Oder hier an diesen Platz. Die meiste Zeit im Jahr stand dann die Tür auf, er hielt mit der einen Hand den Becher, aus dem er den Tee trank, die andere lag wie ein unbenutztes Werkzeug auf dem Tisch und er schaute in den Garten, vermutlich weit darüber hinaus über den Deich, ins Watt und bis auf das Meer, das ihm eine unaussprechliche Sehnsucht machte, obwohl er nie weiter gekommen war als bis zur Insel Borkum. Einmal in seinem Leben wollte er über das Meer fahren, sagte er zuweilen, ließ aber immer offen, ob rüber nach England oder gar nach Amerika oder Indien.
    Es kommt Fokko vor, als ob diese Sehnsucht wie ein schwermütiger Fettfilm in der Küche klebt, den man nur endgültig fortbekäme, wenn man das Haus abbrennen würde. Vater wollte wohl nirgends wirklich hin, wahrscheinlich nur bei Gelegenheit aus dem Mief und der Enge dieser Halbinsel raus und einfach mal auf die Mitte des Meeres, wo er sich mit einem unbegrenzten Blick sonstwas für eine Freiheit versprach. Nun ist er auf anderthalb Quadratmetern angekettet, wird nirgends mehr hinsegeln und verliert sich wohl bisweilen in den alten Traum von einer Fahrt über den Ozean.
    Er räumt die Teesachen weg, schaut noch mal in die Kochmaschine, schließt das Haus ab, steckt den Schlüssel ein und geht um den Friedhof herum und an der Kirche vorbei auf den Deich. Hinter dem Schöpfwerk, seitlich des trüben Arms, der zur Ems hinausgeht, gibt es einen alten Steg, wo seit einer Ewigkeit kein Schiff mehr angelegt hat. Eine riesige Kurbelwelle liegt jetzt da, ist mit rostigen Ketten am Geländer gesichert, und die Planken sind mit goldgelben Flechten bewachsen. Das rechte Ufer der Ems ist als dunkler Streifen zu erkennen, die Dämmerung kriecht den Fluß hinauf und schiebt einen Frachter vor sich her, dessen Positionslichter auf dem Wasser flimmern.
    Fünf Uhr mag es bald sein.
    Dies war der böse Ort. Es war strengstens verboten hier zu spielen, man hatte Angst vor dem Ertrinken oder garstigen Unfällen, aber manchmal kamen Jugendliche auf Mopeds, grölten, rauchten, warfen Bierflaschen ins Wasser, und häufig waren Mädchen dabei von irgendwoher. Das sind Holländer, sagten die Alten mit finsterer Miene, und es schien, als wäre damit alles erklärt. Fox hat sich mal mit einem von denen geprügelt, hat sich tapfer gewehrt, bis sie zu dritt auf ihn losgegangen waren, und er mit einem blauen Auge in den Düker geflogen war.
    Er geht auf dem Deich nach Ditzum zurück. Über dem Emdener Hafen erkennt man schon den Abendstern, der Himmel ist klar und das Wasser ruhig. Unterhalb der Werft sitzt auf einem Steg der Schattenriss eines Anglers. Fokko schaut ihm zu, verfolgt die Fahrt eines Binnenschiffs

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