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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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sich eine Zigarette.
    »Ich fahre jeden Tag zweimal über die Ems, an manchen Tagen sogar viermal, weißt du, Elternabend, Konferenz oder so. Da bleibt es nicht aus, daß man sich wahrnimmt.«
    »Du wohnst in Emden?«
    »Ja«, sagt sie mit einem Seufzer, »das sehen viele nette Menschen in diesem Ort nicht so gern. Sie bieten mir die schönsten Wohnungen zu einem Spottpreis an, aber mir tut diese Distanz gut, die der Fluß zwischen Arbeit und Privatleben legt. Eines gehört auf das linke Ufer, das andere auf das rechte.«
    »Nehmen sie es dir übel?«
    »Das nicht, wirklich nicht.« Sie vollführt ein kurzes, operettenhaftes Lachen. »Eigentlich ist es ja eine Art Liebeserklärung. Daß ich noch nicht über die Ems gezogen bin, kommt ihnen vor, als hätte man geheiratet und zöge nicht zusammen. Für sie ist mein Job nicht einfach ein Job. Lehrer ist hier noch eine gesellschaftliche Position, und daß sie die einer Frau nachtragen, ist im Grunde eine revolutionäre Entwicklung.«
    »Aber jetzt ist ein Stück von deinem Privatleben doch über den Fluß gekommen.«
    »Ja«, lacht sie, »ein bedeutendes Stück.«
    Für eine Weile schaut sie weg, ihr Blick entschwebt ins Imaginäre, als müßte sie das Maß dieser Bedeutung irgend gewichten oder begreifen, und als sie mit einem Griff nach dem Rotstift wieder zu sich kommt, fragt sie freundlich: »Machst du uns einen Tee?«
    Fokko nickt.
    »Ich korrigiere derweil noch eben die Aufsätze zu Ende.«
    »Sind jetzt nicht Ferien?«
    »Ja, noch diese Woche…«, sagt sie, ist aber schon in vollkommener Konzentration über eines der Hefte gebeugt, als müßte sie ein altägyptisches Pergament entziffern.
    Fokko setzt Wasser auf, geht auf die Terrasse hinaus und steckt sich die Zigarette an. Die Zeit anzuhalten ist Blödsinn. Zurückdrehen würde er sie gern, hier in der Ecke unter dem kleinen Dach unsichtbar stehenbleiben und zusehen, wie die Jahre rückwärts in Bewegung kämen. Lange Strecken der Ereignislosigkeit würde es geben, Hinrichs Mutter säße öfter an seiner Seite, der Schatten der Werft würde wie ein verrückt gewordenes Windrad über den Garten und das Haus jagen, Tag und Nacht ein einziges Flimmern, aber er besäße die Macht, den rückwärtigen Lauf der Zeit beliebig zu verlangsamen: bis eines fernen Tages zwei Halbwüchsige albern gackernd über den Zaun gesprungen kommen, im Vorbeigehen lässig mit dem Lederball dribbeln und keine Ahnung haben von der Zukunft des heutigen Tages. Jetzt, wo er wieder da ist, hat sich eigentlich nicht viel geändert.
    Der Teekessel pfeift.
    Während sie die Hefte sortiert, erzählt sie geschwind den Rest ihres jungen Lebens, von der Inselverwandtschaft und dem Bruder, der in einem brasilianischen Armenviertel lebt, von einem gnädigen Schicksal und ihrem Schutzengel, der immer und stets an ihrer Seite sei. Als sie die Sachen in ihrer Tasche verstaut hat, ist ihr Bericht zu Ende. Sie wirft zwei Stücke Kandis in ihre Tasse, gießt Tee darüber und fragt, wie das damals mit den Knaben gewesen sei, Hinrich und Fokko auf dem Deich, wie sie den Pötten hinterhergafften, die auf die Nordsee raus und über die Ozeane gingen. Sie lacht ihn an.
    Ihr Selbstbewußtsein macht ihn stumm, schmerzt ihn gar, aber es ist dennoch ein anderes als das der Wirtin vom Crocodile.
    »Ja«, sagt er, »das haben wir tatsächlich, den Schiffen nachgegafft.«
    Von Hinrichs frühem Entschluß, zur See zu fahren, erzählt er, und daß der Freund nichts anderes im Kopf gehabt hat, als sein Lebtag lang Bilder zu malen.
    Sie nickt und lächelt.
    »Und du, Fokko?«
    »Nichts besonderes«, sagt er achselzuckend.
    »Bist gerade aus der Stadt gekommen, sagt Hinrich.«
    »Ja.«
    Aus der Speisekammer holt er Kartoffeln, spült sie ab und setzt sie in einem Topf auf den Herd. »Wann kommt er?«
    »Um sieben.«
    Er schaut auf die Uhr und schaltet den Herd ein.
    »Ich rauche noch eine.«
     
    Später, bei Matjes und Pellkartoffeln, fragt Hinrich nach dem Vater.
    »War’ste da?«
    »Ja.« Fokko zerteilt mit der Gabel eine Kartoffel, als wollte er ihr Schmerzen zufügen.
    »Und?«
    »Der ist so was von einsam und allein und ausgeliefert.«
    »Hat er dich erkannt?«
    »Ja und nein.«
    »Wie das?« fragt Helene.
    »Zuerst hat er mich überhaupt nicht erkannt, dann doch, aber ich glaube, er sieht in mir nur den Fokko von früher, kann sich nicht erinnern, was dazwischen war, die ganze Zeit, kann sich nicht vorstellen, daß ich aus der Stadt gekommen bin und nicht aus der

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