Die Uhr der Skythen (German Edition)
bringt er kurzatmig hervor, stellt seinen Rucksack auf den Boden und läßt sich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch fallen. Ihr Haar hat sie mit einer Kordel gebunden, die Hände, die ein Blatt Papier und den Stift halten, sind von Myriaden Sommersprossen betupft, und ihre Nase ist schief. Da sie den Kopf mit dem Schreiben ein wenig gesenkt und zur Seite geneigt hat, erkennt man, ihr Nasenrücken zeichnet eine abdriftende Linie: als hätte sie im Wachstum einen beständigen Wind von Backbord gehabt.
»Einen wunderschönen guten Morgen«, sagt sie, richtet sich auf, lehnt sich zurück und schaut ihn an. Ihre Stimme kommt ihm vertraut vor, als wären sie Geschwister, dabei war es nicht einmal ein ganzer Satz, den sie still gesprochen hat, nachdem er sie aufgefangen hatte: Danke, ich bin spät dran. Mag sein, ihre Stimme entspricht nur den Vorstellungen, die er sich macht.
Fokko nickt.
Er kann sich nicht vorstellen, daß sie jeden Bürger, der in ihrer Amtsstube sitzt, auf die Art anschaut, wie sie es jetzt mit ihm macht. Ihr Blick ist heiter, leuchtend und von einer unverstellten, zugewandten Neugier, fragend, suchend durchaus, besitzt dabei aber nichts Kriegerisches, nicht Sezierendes wie der unerbittliche Scanner einer gewissen Dame.
»Was kann ich für dich tun?« fragt sie. Sie trägt eine kunterbunte Strickjacke, drunter ein schwarzes T-Shirt, an dem ein Schmuckstück steckt, eine mattsilberne Arabeske, vielleicht ebenfalls etwas Keltisches.
»Ummelden.« Das Wort kommt wie ein dickes Stück Knetgummi aus ihm hervor.
»Hast du vielleicht den Personalausweis mit?« fragt sie und ihr Lächeln versichert, daß sie ihn auch ohne Ausweis in jeder Gemeinde der nördlichen Halbkugel anmelden würde. Er sucht ihn hervor. Sie nimmt ihn an wie einen sehr privaten Brief, vergleicht das Foto mit der Wirklichkeit in derselben diskreten Ernsthaftigkeit, mit der sie dann die Daten in den Computer eingibt, als wären sie das lange gesuchte Passwort für den Zugriff auf die Datei mit der Weltformel.
Sie hat ihn geduzt. Einfach so. Oder weil sie sich doch an ihn erinnert, ihn längst in ihre eigene Geschichte einsortiert hat wie sonst einen Bürger in die Kartei des Rheiderlandes.
»Ledig?«
»Ja.«
»Kinder?«
»Nein.«
»Von wo nach wo?« fragt sie und sucht etwas auf dem Bildschirm.
»Wie bitte?« Das nächste Stück Knetgummi ist wenigstens schon kleiner.
»Von wo nach wo ummelden«, erklärt sie, und ihr kurzer Blick macht ihn wieder nervös. Wie kann eine Frau einem völlig fremden Kunden gegenüber so freundlich sein? Wie ist es möglich, daß sie sich lächelnd und mit leuchtenden Augen um die Angelegenheit eines schrulligen Tankwarts kümmert? Das macht sie nicht bei jedem. Aber auch nicht, weil er sich im Trubel des Hauptbahnhofs an der richtigen Stelle postiert hatte und sie sich an einen glücklichen Zufall erinnern mag.
»Von Osnabrück«, sagt er.
»Nach?«
»Pogum.«
»Das geht nicht!« ruft sie lachend aus. »Oder bist du innerhalb von Pogum umgezogen?«
»Das kann man kaum.«
Sie schaut abermals auf den Bildschirm.
»Wahrscheinlich hast du in Osnabrück nur einen zweiten Wohnsitz.«
»Wie bitte?«
»Du bist regulär in Pogum gemeldet, am Kirchring: Fokko van Steen, geboren dortselbst am 1. Februar…«
»Das ist mein Elternhaus.«
»Ja.« Sie sagt es mit einem melodiösen Unterton, daß man denken könnte, sie gehe dort ein und aus und habe sich sowieso schon lange gewundert, wo der Sohn des Hauses nur steckt.
»Was muß ich machen?« fragt er.
»Was willst du denn?«
»Herziehen, hierbleiben.«
»Nichts.«
»Was nichts?«
»Nichts machen.«
Sie schiebt die Tastatur beiseite wie man eine Akte schließt.
»Vielleicht war es ja eine behördliche Fehlleistung. So was gibt es auch. Ich werde mich darum kümmern, in Osnabrück nachfragen und dich gegebenenfalls abmelden. Es kann sein, daß du wiederkommen mußt und eine Gebühr bezahlen.«
Gegebenenfalls wiederkommen. Und jetzt?
»Wir haben uns kürzlich getroffen.«
Sie fragt nicht, sie stellt es fest.
»Ich glaube ja.«
»In Osnabrück«, sagt sie und schiebt ihm den Personalausweis zu.
»Ja, da sind Sie…«
»Ich heiße Merreth.«
Er nickt, nimmt seinen Ausweis und steckt ihn in den Rucksack.
»Da bin ich…«, sagt sie überraschend ernst, verschränkt die Hände hinter dem Kopf und schließt für einen Moment die Augen, als riefe sie ein inneres Bild auf. »Es war bitterkalt. In der Altstadt bin ich in eine Kneipe
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