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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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geraten, habe mich an einem Ofen aufgewärmt, da saß an einem gemütlichen Tisch ein Kavalier alter Schule, ein Professor für Musik, Bildene Kunst oder dergleichen, hat mich sehr charmant angesprochen, aber mir war an diesem Abend nicht nach Unterhaltung…«
    Schwammheimer, ein Professor! Wahrscheinlich für Scharlatanerie und Hochstapelei oder dergleichen. Aber Fokko erinnert sich. Das war der Abend im Crocodile , als er Schwamm die Zauberuhr gezeigt hat. Und mit Eva an der Theke über die Frage disputiert, wie denn es weitergehen werde. Die Antwort war wie immer sehr deutlich gewesen: nichts, Fokko, geht weiter.
    »Genau«, sagt er. Es kommt ihm vor, als wäre das Monate vergangen.
    »Das war Neujahr«, sagt sie und lächelt bezaubernd. »Am Abend. Und du bist der, der beim Professor am Tisch saß.«
    Sie ist die Frau, die mit dem Glitzer schmilzender Schneekristalle im ungestümen Haar ins Crocodile kam, eingefrorene Tränen auf den sommersprossigen Wangen, eine Tasse heiße Schokolade bestellte und fast in Schwammheimers rhetorischen Tentakeln kleben geblieben wäre. Das hat er schon gewußt.
    Er sieht sie ziemlich freimütig an.
    Sie hatte geweint. Und Jakob Schwammheimer hatte selbstverständlich einen Kommentar parat, irgend etwas von Kummer und Schmerz, aber postwendend die Erklärung, niemand könne in die Seele eines anderen schauen.
    »Und Sie sind…«
    »Du!«
    »Du bist also…«
    »Ja«, sagt sie, freut sich augenscheinlich an seiner Verwunderung und erklärt, mit dem alten Jahr habe sie eine unerfreuliche Geschichte an ein Ende gebracht, eben rechtzeitig sozusagen, an dem fraglichen Abend sei sie erschöpft und erschüttert in die nächstbeste Kneipe gewankt, aber dennoch im Bewußtsein, das Schlimmste hinter sich zu haben. Wie man einen schweren Unfall heil überstehe: man ist unverletzt, aber dennoch schockiert.
    Fokko denkt, ihm ist es eigentlich nicht anders ergangen. Er könnte sie jetzt nach Details fragen, aber er spürt, damit würde er den Zauber des unvermuteten Vertrauens zerreißen wie ein Spinnennetz, in dem mit dem ersten Strahl der Morgensonne Tautropfen glitzern wie aberhundert Diamanten.
    »Ja«, sagt er nur und schaut ihr für einen langen Moment in die Augen. Sie besitzen eine blaugraue, lichte Farbe und lassen ihn nicht los. Die Zeit steht plötzlich still und dennoch puckert sie einen hektischen Sekundentakt in seinen Schläfen. Schwammheimer hatte den Schnee symbolisch ins Gespräch gebracht, das unbeschriebene Blatt Papier, und für einen ungewissen Augenblick hatte sie sich darauf eingelassen, angedeutet, daß das Blatt schon bekritzelt sei, sich das Unschöne eher eingraviert als weiterschreibt, am Ende verhinderte es die heiße Schokolade, die Eva auf die Theke stellte, daß Merreth der großen Seele des Professors ihre Schwierigkeiten offenbarte. Fokko spürt, er wird rechtzeitig erfahren, was mit ihr war. Daß sie sich dann im Bahnhof gewissermaßen abermals getroffen haben, wird er erst einmal weglassen.
    Es klopft an der Tür, ein junger Mann mit einem Motorradhelm unter dem Arm tritt ein und entschuldigt sich. Würden Sie freundlicherweise einen Moment draußen warten, geht es Fokko durch den Kopf, der Besucher ist auch schon im Rückzug begriffen, da vollführt die Sachbearbeiterin eine generöse Gebärde auf den Stuhl neben Fokko.
    »Nimm bitte Platz«, sagt sie, »ich stehe dir sofort zur Verfügung!«
    Ihre Freundlichkeit versetzt ihm einen Stich. Entweder kennt sie den Neuankömmling aus gemeinsamer Jemgumer Kindheit, es ist nichts als behördliche Professionalität oder etwas ganz anderes, was Fokko mit einem Mal fürchtet.
    »Hast du Telefon?« fragt sie ihn und notiert etwas auf einem Zettel.
    »Im Haus, warum?«
    »Die Nummer?«
    »Keine Ahnung.«
    Für den Moment, den sie innehält und ihn anlächelt, denkt er nichts. Der Motorradfahrer neben ihm öffnet mit einem enervierenden Geräusch den Reißverschluß seiner Lederjacke und holt eine Brieftasche hervor, die er in den Händen öffnet, als könnte man drin lesen. Frau Winterboer blättert routiniert im Rheiderländer Telefonbuch.
    »Clemens?«
    »Ja.«
    »Drei, acht, sieben«, sagt sie und schreibt es auf den Zettel.
    »Bin ewig weggewesen«, sagt Fokko. Er hört sich an wie ein ertappter Ladendieb.
    »Ich erledige das.« Sie tippt auf den Zettel und schiebt ihn zur Seite. Eine abschließende Gebärde. Ihrem Lächeln traut er plötzlich nicht mehr. Sie verschenkt es nicht wirklich. Es gehört nicht ihm,

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