Die Uhr der Skythen (German Edition)
geduldig, schaut ihnen nur mit großen Augen zu.
»Schwammheimer«, fragt Fokko nach einer Weile, »was hat er vor?«
»Er will die Uhr klauen.«
»Hat er doch nichts von.«
»Doch. Er will sich in ein Hotelbett und die Uhr auf seinen Bauch legen – geöffnet.«
»Dann ist er aus der Zeit.«
»Ja. Und mit ihm die Welt.«
»Nur ich nicht.«
»Aber du weißt nicht, in welchem Hotel er liegt.«
»Ich irre durch die Welt, und er wartet ab, in einem Hotelbett.«
»Genau. Wenn die Uhr abgelaufen ist, gehört sie ihm.«
»Und wenn sie nicht abläuft…«
»…liegt er bequem.«
Kein schlechter Plan. Vermutlich spekuliert Schwammheimer darauf, die Uhr, wenn sie durchgelaufen ist, neu in Gang zu setzen und auf sich selbst prägen zu lassen. Dann hätte er ausreichend Spielraum für seine Gaunereien.
»Kein schlechter Plan«, sagt Fokko, gibt ein Lachsbrötchen über den Tresen, kassiert und eben, als er die Kasse schließt, sieht er den Dichterfürsten mit ausladenden Schritten um das Karussell herumkommen. Ehe er darüber nachdenken könnte, mit welchen Absichten, ist der falsche Freund von hinten in die Bude, steht neben ihm und legt die Digitalkamera auf das Brett.
Fokko schüttelt den Kopf.
»Davon will ich nichts mehr wissen.«
»Nur ein Foto, klicks. Mehr nicht.«
Des Dichters rechte Hand schwebt über den Fischen, und die schüttelnde Bewegung läßt Fokko denken, Schwammheimer zählt nun die Makrelen, den Rotbarsch und die Schollen, wird so lange mit starrem Blick an seiner Seite stehen, bis die Inventur fehlerfrei und bis zum letzten Rollmops abgeschlossen ist. Es ist gewiß eine schreckliche Krankheit, aber die Schüttellähmung scheint ihm in diesem Moment nicht nur Folge eines Botenstoffmangels zu sein, wohl auch Ausdruck der gierigen Rastlosigkeit, die den sonderbaren Gefährten noch immer gefangen hält, obschon er reichlich in die Jahre gekommen ist.
»Mehr nicht«, murmelt Fokko, holt die Uhr aus dem Kittel und legt sie geöffnet vor sich hin. Dann nimmt er die Kamera und macht das Foto. Bereits im Display erkennt er, daß sich die Ringe weiter gegeneinander verschoben haben: aber nicht viel, insgesamt nur um ein paar Grad. Er schließt die Uhr und hält Schwammheimer die Kamera hin.
»Kein großer Unterschied«, sagt er.
Der oberste Hofschreiber im Café Crocodile hingegen, der große Bonvivant, unhonoriger Siegelringträger und heuchlerischer Intimus, greift nicht nach der Kamera, schnappt sich die Zauberuhr vom Tresen und ist binnen eines Atemzuges mit der Beute auf und davon. Ehe Fokko nur einen einzigen Gedanken fassen kann, sieht er den Dieb bereits hinter der Kundschaft im Festtrubel Richtung Anleger verschwinden.
Eva zuckt die Achseln und zeigt ein undefinierbares Lächeln.
Unter den leiernden Klängen der Jahrmarkts-Symphonie schlägt die Glocke der Ditzumer Kirche sechsmal. Hinter der Stimme des Losbudenmeisters erklingt das Horn der Fähre. Das ist Schwammheimers Fluchtweg. Fokko stürmt aus der Fischbude, drängt sich durch das Getümmel, als er jedoch am Anleger ankommt, hat die Fähre schon eine Schiffslänge rückwärts abgelegt, der verkannte Schriftsteller ist augenscheinlich in letzter Sekunde um die Ladeklappe herum an Bord geklettert, steht jetzt an der Reling beim Backbordanker, hält die gestohlene Uhr mit beiden Händen wie eine Trophäe triumphierend über seinen Dichterkopf und schickt ein grelles, schadenfrohes Lachen an Land.
In diesem Augenblick wirft der Kapitän, der mit einem Arm aus dem Steuerhaus heraus ein ungewisses Zeichen gibt, das Ruder herum, um den rückwärtigen Bogen in den Hafen zu schlagen und die Nase Richtung Ems zu drehen. Diese unbedeutende Änderung der Fahrtrichtung reicht aus, Schwammheimer ein wenig ins Schwanken zu bringen, die Uhr entgleitet den zitternden Fingern und schwebt einen Atemzug lang in der Luft, der Dieb führt einen verzweifelten Tanz auf, erwischt die Beute doch noch, verliert dabei aber die Balance und stürzt mit seinem Schatz ins Hafenbecken.
»Jakob kann nicht schwimmen!« schreit Eva, die unversehens neben Fokko steht.
Daran scheint sich der Unglückliche ebenso zu erinnern, als er auftaucht, zappelt, schreit und öffnet in Todesnot die Uhr, aber sie rutscht ihm aus der Hand und entschwindet im trüben Wasser des Ditzumer Hafens. Schwammheimer, Eva und der Rest der Welt sind vor Schreck erstarrt und werden es bleiben.
Kapitel 15
Jetzt ist es geschehen. Nichts bewegt sich mehr, und es ist vollkommen still.
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