Die Uhr der Skythen (German Edition)
zurück, geh nur mal ans Auto«, sagt der große Schwamm. Er hat das silberne Etui hervorgeholt, steckt sich zunächst eine Zigarre an, dann verschwindet er dampfend hinter dem Karussell.
Fokko nickt und schaut sich um. Das Sonnenlicht springt glitzernd durch die rhythmische Reise des Karussells, es steht Hinrich entgegen, der sich die Augen mit der flachen Hand beschattet, um nach Fahrgästen zu schauen, zieht von der linken Seite der Losbude einen Schatten bis zum Sieltor und ruht golden auf der Kirchturmuhr. Bald wird es Abend sein, die Sonne wird hinter dem Touristenbüro verschwinden und später hinter der Werfthalle in der Ems versinken. Der Wind wird sich hinter den Deichen zur Ruhe legen, die letzten Gäste werden sich im Ort verlaufen, und wenn der grelle Kirmeslärm verebbt, als breitete ein guter Geist eine Decke über den Hafen, wird Merreth kommen, ihm helfen, die Bude aufzuräumen und abzuschließen, dann gehen sie heim, sie schiebt ihr Rad an seiner Seite, im Pogumer Haus wird er in der Kochmaschine ein Feuer machen, sie sitzen auf dem Sofa beieinander, er hat seine Hand auf ihren Bauch gelegt, sie erzählt von ihrer gemeinsamen Zukunft und dem Kind unter ihrem Herzen.
Es ist das pure, begreifbare Glück.
Er geht in die Bude, bedankt sich bei Eva mit einem Kopfnicken, schaut nach dem Filet in der Friteuse und fragt nebenher: »Weshalb seid ihr gekommen?«
Sie gönnt ihm nur einen Seitenblick, nimmt einen Teller, setzt einen Klacks Kartoffelsalat darauf und garniert ihn mit einer Gurkenscheibe und einem Sträußchen Petersilie.
»Es ist Schwammheimer«, sagt sie dann. »Er will die Uhr.«
»Will seine Gaunereien ausprobieren…«
»Er würde es schaffen, einen Verleger die Unterschrift unter einen Vertrag für alle seine unvollendeten Romane setzen zu lassen.«
»Höchstwahrscheinlich…«
»Was hast du mit ihr vor?«
Sie fragt es, als sie sich zu ihm herüberbeugt und den Teller mit dem Kartoffelsalat in der Nähe der Friteuse absetzt. Ihre Worte besitzen eine simulierte Beiläufigkeit, so kommt es ihm vor, soll wohl so klingen, als hätte sie nach dem Wetter für den nächsten Tag gefragt. Unter dem Geruch, den der Fisch und das Fett verbreiten, entdeckt er ihren Duft, dieses eigenwillige Gemisch aus Olivenöl und Pfeffer, sein parenthetischer Blick erhascht für eine Sekunde die schwesterlichen Früchte, die sie ihm gewiß nicht zufällig im Ausschnitt ihres Sommerkleides darbietet, und das Lächeln, das sie ihm schenkt, mag noch so eigennützig sein, es besitzt immer noch eine spürbare Wirksamkeit.
»Nichts«, sagt er, spielt den Ball ihrer Beiläufigkeit sorglos weiter, bedient seine Kunden und verrichtet die gewöhnlichen Handgriffe, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan. »Gelegentlich lasse ich sie laufen, wenn ich Zeit brauche oder allein sein möchte. Sollte sie irgendwann abgelaufen sein, vergrabe ich sie.«
»Könntest sie an jemanden verschenken.«
»Aber gewiß nicht an Jakob Schwammheimer.«
»Das ahnt er wohl.«
»Und?«
»Deswegen hat er seinen eigenen Plan.«
»Welchen?«
Beim Kassieren entdeckt er, daß die Uhr verschwunden ist, gibt das Wechselgeld zurück, schließt die Kasse, läßt die Hand aber dort und schaut Eva an. Sie hat gesehen, was er gesehen hat. Ihre Augen glühen wie die beiden Leuchtfeuer einer rettenden Hafeneinfahrt in finsterster Nacht. Nun wird die Löwin mit der Gazelle einen Dialog eröffnen.
»Ich erzähle es dir«, sagt sie, tritt näher an ihn heran, und ihre Hand legt sich auf seine. »Jetzt sofort. Aber nicht hier.«
»Ich kann nicht weg.«
»Dann verschwinden wir eben hinter die Bude.«
»Und die Kundschaft?«
»Stört uns garantiert nicht.«
»Wie das?«
Das blaue Kleid mit den weißen Punkten verbirgt offensichtlich nicht nur ihren fabelhaften Körper, der ihm auf eine geheimnisvoll virulente Weise nahe kommt, es besitzt offenbar auch irgendwelche Taschen oder Falten, aus denen sie jetzt die Zauberuhr hervorholt und ihm auf der flachen Hand präsentiert.
»Das wird nicht funktionieren, Eva.«
»Doch«, flüstert sie, »es gibt nämlich ein zweites Geheimnis.«
»Was für eins?«
Zunächst bleibt sie Fokko eine Antwort schuldig, ergreift seine freie Hand, zieht ihn von der Kasse weg und durch die Hintertür in den schattigen Streifen zwischen der Fischbude und der Werft, an deren Schmalseite ein Schleppdach gesetzt ist, unter dem lange Bohlen lagern, abgetakelte Masten und vermoderte Poller. Dort greift, betastet und
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