Die Uhr der Skythen (German Edition)
erwartet offenbar mehr als nur einen gefilterten Blick auf das Objekt seines Begehrens, ist plötzlich leutselig, tritt staunend unter die Pogumer Bäume, erklärt die Siedlung ungefragt zu einem mittelalterlichen Flecken, der Friedhof charakteristisch angelegt, traditionell ein erhabener Ort, damit bei schlechtem Wetter die Gräber nicht voll Wasser laufen.
Das Haus betritt er mit dem ruhelosen Blick eines Antiquitätenhändlers, seine nervösen Finger griffbereit, Fokko aber erklärt kein Stück, geht nur rasch voraus an den Sekretär im Wohnzimmer und holt das Foto hervor.
Schwammheimer vergleicht es mit seinem Bild.
»Wie lange, Fokko?«
»Was?«
»Ist sie gelaufen.«
So standen sie schon einmal beisammen, ganz zu Anfang, nachdem er eine Nacht in der Gedächtniskammer des Dichterfürsten verbracht hatte. Das scheint ihm jetzt ewig her.
»Keine Ahnung. Höchstens ein Tag.«
»Zehn Grad, vielleicht zwölf.«
Fokko schaut ihn an. Dieses gierige Funkeln stand ihm damals auch in den treuen Augen. An jenem Morgen hatte er ihn nach dem Siegelring gefragt, und Schwammheimer hatte offenbar keinerlei Schwierigkeiten gehabt, ihn fröhlichst anzulügen, obwohl der schwarze Benz im Schnee vor der Tür stand, der unredliche Freund die Nacht wahrscheinlich mit der charakterlosen Wirtin verbracht und ihm von der Frühmesse erzählt hatte.
»Vermutlich ist das Maß ein Mondumlauf.«
An dem Tag waren sie zum Bahnhof gefahren, wo sich der Kamerad die Uhr genommen und erheblich entfernt hatte, um sie vielleicht doch noch auf sich selbst zu prägen. Und Merreth wäre um ein Haar gestürzt.
»Auf jeden Fall ist noch genügend Raum, um einiges zu bewegen«, sagt Schwammheimer, »man muß das Ding nur sparsam und intelligent einsetzen.«
»Man?«
Schwammheimer lächelt: »Wir!«
Die Standuhr im Flur schlägt. Fokko legt das Foto in den Sekretär zurück.
»Halb sechs, es wird Zeit!«
Auf dem Rückweg preist Schwammheimer den Segen des einfachen Lebens, die Nähe zur Natur in all ihren dem Menschen nicht immer genehmen Facetten, vor allem aber, wie er mehrfach betont, die Abwesenheit der Komplexität, wie sie in den Metropolen gnadenlos herrsche. Es ist, als wollte er den eigensinnigen Freund nun endlich und nachhaltig davon überzeugen, in das Haus seines Vaters einzuziehen. Zuletzt fragt er indes: »Wo ist sie?«
Fokko reagiert mit einem Achselzucken.
»Du spielst nur mit ihr«, sagt Schwammheimer, »du mußt sie nutzen!«
»Muß ich nicht.«
»Hat dieser Lehrer sich nicht gewundert? Hat er die Sache nicht ausprobieren wollen?«
»Nein, es interessiert ihn nicht wirklich. Vermutlich glaubt er die Sache nicht.«
»Ich habe ein wenig nachgedacht.«
»Und?«
»Gib sie mir!«
»Nein, Schwamm. Ich brauche keine Wunder, keine Gemeinheiten, aber sie ist nun mal an mich gebunden.«
»Richtig. Diesen Fluch wirst du nur los, wenn du die Uhr einmal durchlaufen läßt. Wenn nicht, so kann es dir passieren, du bist eben in Thailand, jemand bricht derweil in Pogum ein, findet die Uhr und klappt sie auf…«
»Was soll ich denn in Thailand?«
»Klapp sie doch selbst auf!«
»Und?«
»Setz dich mit einem guten Buch am Hafen in die Sonne und öffne die Uhr! Im größten Trubel bist du ungestört, und wenn du Hunger bekommst oder Durst, bedienst du dich irgendwo, wenn du Sehnsucht hast nach menschlichem Umgang, klappst du sie wieder zu, so lange dir die Gesellschaft nicht auf den Wecker geht.«
Er ahnt nicht, wie sehr.
»Was würdest du eigentlich mit der Uhr machen?« fragt Fokko.
»Gutes tun, Witziges natürlich und, sagen wir mal, Vorteilhaftes.«
»Zum Beispiel?«
»In einer Quizshow die Zeit anhalten, in aller Gemütsruhe nach der Lösung suchen, sich auf den Kandidatenstuhl zurücksetzen und schlaue Antworten geben…«
»Siehst du, Schwamm, eben das will ich nicht.«
Da sie die Häuser von Ditzum erreichen, scheint es, als unterwürfen sie sich einem Siegel der Verschwiegenheit, gehen ohne ein Wort durch die Pfefferstraße und an Dünenbroeks Parkplatz vorbei, und es kommt Fokko vor, als zähle Schwammheimer an seiner Seite still die Schritte, die sie bis zum Hafen und an die Fischbude brauchen.
Hinrich ist schon an der Fähre beschäftigt, lotst zwei Autos an Bord, Eva steht für ihn in der Bude, lächelt ihnen entgegen und wälzt dabei ein Fischfilet in der Panade.
»Ich muss da rein«, sagt Fokko und legt Schwammheimer die Hand auf die Schulter, als wäre irgend ein Geschäft beschlossen.
»Bin gleich
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