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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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im Café Crocodile . Das ging vollkommen daneben, weil, wie er Eva erklärte, man entweder als Kellner geboren ist oder als Gast. Sie nickte verständnisvoll, spendierte ihm einen Doppelten und war wohl froh, daß die Episode ein rasantes Ende gefunden hatte.
    Der Palast der Schwammheimerschen Lebenskunst ruht wie jedes gute Gebäude auf vier tragenden Säulen. Da ist zunächst seine feudale Intelligenz, ein Instrument, das dadurch eine gefährliche Schärfe bekommt, daß es sich mit einer Auffassungsgabe paart, die im Millisekundenbereich operiert. Dem zur Seite steht die Säule der Courage, die nach dem Urteil einiger nicht unbedingt aus bestem Zement gegossen sein soll, von manchen eher als Egoismus oder dergleichen denunziert wird, aber da schmeckt man den Neid auf den Lippen nach, Schwammheimers Unverschämtheit ist Freiheit von Scham im besten Sinne, also eher so etwas wie ein charmantes Zugreifen bei Gelegenheit, sich nicht zu genieren, wenn das Schicksal ein Angebot macht.
    Die beiden anderen Pfeiler stützen sich gegenseitig, geben dem Palast eine glaubwürdige Statik und einen menschlichen Anstrich. Es sind der Humor und das Glück. Letzteres reklamiert Schwammheimer seit je ungeniert für sich ein, weil, wie er sagt, das Pech ihm unsympathisch ist. Außerdem sei alles eine Frage der Buchführung. Er hätte sich natürlich fürchterlich ärgern können, daß er die Antwort zur Halbmillionenfrage in der Quizshow nicht gefunden hatte, obwohl er sie definitiv wußte, sie sei zwar nicht im Arbeitsspeicher präsent gewesen, aber garantiert irgendwo auf der Festplatte gespeichert. In solch einer Situation gäbe es kein Pech, nur Dummheit. Und seine Klugheit habe sich weniger in den richtigen Antworten gefunden als in der Entscheidung, rechtzeitig aufzuhören. So sei das Glück zuletzt ein dreifaches gewesen: überhaupt in die Show zu kommen, die Auswahl zu gewinnen und einhundertfünfundzwanzigtausend Euro dazu. Davon könne er für den Rest seines Lebens im Crocodile sitzen, Aquavit verköstigen und Romane ausdenken, die kein Mensch lesen wolle.
    Der Humor, nach seiner eigenen Definition das einzige, was den Menschen substantiell vom Tier unterscheide, sei auch der einzige Grund, weswegen es sich lohne, überhaupt zu leben. Abgesehen vielleicht von periodischen Liebschaften und anderen Obsessionen. So durchzieht Jakob Schwammheimers Charakter die deftige Spur einer melancholischen Selbstironie, mit der er alles und jeden auf Distanz hält, was seinem verletzten Herzen zu nahe kommen mag. Zum Beispiel mit Hilfe der Visitenkarten, die er hat drucken lassen, auf denen nennt er sich Jacobus Domus Spongiae und hat aus reinem Übermut darunter setzen lassen: Kneipenphilosoph – Keine Sprechzeiten .
    »Wie spät?« fragt er.
    Eva stellt eben die Standuhr neben der Theke. Dem alten Drogisten war einst eines der Gewichte aus der Hand gefallen, ein Stück war abgebrochen, und so klang das Schlagwerk wie ein todkranker Hund. Eva hatte dann die Gewichte getauscht, die Uhr schlägt seither wieder kraftvoll und fröhlich, nur nicht zur rechten Stunde, weil sie langsamer geht. Das aber sei ein besonderer Service, behauptet sie, ihre Kneipe besitze somit einen eigenen Pulsschlag, sie überliste sich mit der Arbeitszeit, und den Gästen werde die Ruhelosigkeit behandelt, ohne daß sie es bemerkten.
    »Sieben ist jetzt richtig«, sagt sie, schließt die Standuhr, nimmt ein Tablett mit Lichtern von der Theke und verteilt sie auf den Tischen. Mit einem Räuspern setzt sich die Uhr in Gang. Schwammheimer zählt die Schläge und schaut Eva hinterher. Sie trägt Lederjeans, ein rosafarbenes Poloshirt und dazu ein farblich passendes Cap mit einem Schmetterling aus Strass-Diamanten auf der Stirn. Ihr Zopf kriecht über dem Verschluß der Kappe wie die Schwanzspitze eines blonden Krokodils hervor, kommentiert ihre Körperbewegungen mit einem reziproken Ausschlag, und er denkt, sie besitzt eine Unzahl von Caps und die dazu passenden Shirts, ausreichend für alle Eventualitäten wie die Farben der Paramente zum Kirchenjahr.
    »Wenigstens für diesen Moment«, sagt er und bemerkt eine Bewegung im Augenwinkel, eine Gestalt, die draußen durch den Schnee stapft und den Rucksack trägt, als hänge sie in ihm fest wie in einem Fallschirm. »Dein Liebster kommt.«
    Eva stellt mit einer einzigen Handbewegung die letzten drei Lichter auf die Tische, rückt noch einen Stuhl zurecht und ist schon hinter der Theke, ehe man das Klopfen hört, mit dem

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