Die Uhr der Skythen (German Edition)
das elegische Gesicht geschrieben, aber vermutlich ist er es doch. Der Student hatte sich zunächst als geistreicher Besserwisser, gutartiger Schürzenjäger und begnadeter Carromspieler das Adelsprädikat »der Große« verdient, hatte sich spät als Grundschullehrer verdungen und zwischen den Siebenjährigen einigen Erfolg mit seiner unpädagogischen Haltung gehabt, ehe er sich eher durch einen Zufall dem Schreiben verschrieb. Ein alter Kumpan hatte in der Landeshauptstadt die Stadtzeitung Hirnkocher begründet, damals, in den Jahren, als die Idee neu und die Konzeption eine etwas andere war, als den Singles die Events, Gigs und die Dates einzublasen und modern zu tun. Schwammheimer sollte etwas schreiben, egal was, bloß nichts Herkömmliches, und so kam es zu seiner ersten Veröffentlichung, der Trilogie Bügelt nicht im Zug! Den Lesern gefiel es, der Kumpel bemerkte zufrieden, es sei zwar nichts als ausgemachter Blödsinn, aber genial geschrieben. Das war dann eine Art Initialzündung, denn nachdem Schwammheimer eine Weile mit höherem Unfug brilliert hatte, drängte ihn eine innere Stimme, das Schreiben in seriösere Sphären zu führen. Er schrieb seinen ersten Roman. Den wollte zwar kein Verlag drucken, aber immerhin gab es eine Lesung im Café Crocodile , zu der zwölf Zuhörer kamen: exakt die Schar derjenigen, die ihn bewunderten oder sich nicht trauten, ihr Desinteresse deutlich zu machen. Eva, die das Café just übernommen hatte, war entsetzt, aber der Dichter war es zufrieden. Wie beim Abendmahl, sprach er, daraus sei am Ende ja eine respektable Gemeinde geworden. Allerdings, antwortete die Wirtin, war es das letzte Abendmahl.
Schwammheimer indes hatte bereits ein neues Projekt in Arbeit, die Vita eines Irrsinnigen aus der Provinz, nicht unbedingt ein neues Genre, aber, so erklärte er, der sich von da an ungeniert als Schriftsteller bezeichnete, die großen Themen der Literatur wiederholten sich sowieso unablässig, die Art des Schreibens jedoch, die Macht der Sprache und die Kraft der Ironie bestimmten den Wert eines Werkes. Zu jener Zeit kam er darauf, daß ihm das Amt des Schulmeisters im Weg war. Da er sich für die Abende ins Crocodile verpflichtet hatte, kam das Schreiben schon zeitlich zu kurz, außerdem nisteten sich die Sorgen der kleinen Plagegeister in der Schule in seine Großhirnrinde ein wie Würmer in einen faulen Apfel, wie Tuberkelbakterien in eine Lunge, wie Spitzel in eine Waffenfabrik. So verkündete er eines Tages an der Theke, er werde nun erstens das letzte Bier trinken, künftig nur noch kristallklare Alkoholika in sich aufnehmen und zweitens als Schulmeister abdanken. Denn nur ein freier Schriftsteller sei ein wirklicher.
Auf welche Weise er nun den Dienst quittierte, das war zweifellos ein Meisterstück seiner spezifischen Lebenskunst. Er erklärte dem Amtsarzt, er leide periodisch an Attacken von Schwindel, Übelkeit und Sehstörungen, häufig des Nachts, wenn er aus wirren, schweren Träumen erwache. Obwohl der Arzt einige Zweifel gehabt haben dürfte, war es kein Stück gelogen, und am Ende war es ein Foto an der Wand des amtlichen Sprechzimmers, das die Sache entschied, ein mittelmäßiges, ziemlich unterbelichtetes Gebirgspanorama, auf das Schwammheimer fragend zu sprechen kam, den alpophilen Arzt in ein Spinnennetz von schwärmerischen Naturerlebnissen wickelte und beiläufig erwähnte, er sei vor einem Jahr zu einer zehntägigen Höhenwanderung im Himalaya gewesen, allein mit einem Sherpa bis auf eine Höhe von sechstausend Metern, außerdem habe er in einem nepalesischen Bergdorf an einer rituellen Feier teilnehmen dürfen und dortselbst ein tausendjähriges Ei verspeist. Damit, wie er hinterher hundertfach erzählte, und mit einem leichten Zucken seiner Gesichtsmuskulatur, endete seine Rede. Deshalb, hatte der Mediziner erschüttert gemurmelt, mit einem mitfühlenden Blick zu seinem Montblanc-Füller gegriffen und die Empfehlung zur Frühpensionierung unterzeichnet.
Damit begann, wie Schwammheimer es für sich selbst definierte, sein mittleres Zeitalter, die Jahre der Entbehrung und der Schöpferkraft, der einsame, mühselige Weg durch die Wüste der Selbstfindung. Die Pension, die er sich erdichtet hatte, war so kostbar wie sie bescheiden war. Davon konnte jemand, der Großes vorhatte, unmöglich leben. So saß er an manchen Tagen doppelt und dreifach so lange am Steuer eines Taxis, wie er früher in der Schule eingesperrt gewesen war. Für zwei Tage servierte er
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