Die Uhr der Skythen (German Edition)
sich jemand draußen an den Stufen Schnee von den Schuhen schlägt. Sie räumt das Tablett weg, wischt mit einem Lappen in den Ecken herum und schaut auf den Windfang, der sich für einen Atemzug aufbäumt wie ein Segel bei Flaute, dann teilt sich der Vorhang und Fokko van Steen betritt das Crocodile , als könnte er dort niemanden erwarten, dreht sich auf der Stelle, nimmt den Rucksack von den Schultern, schüttelt den Schnee ab und hängt seinen Parka an die Garderobe. Dann kramt er ein Taschentuch hervor, wischt sich das rote Gesicht trocken, streicht seine schütteren Haare zurecht und schaut sich um.
Evas Blick trifft ihn wie ein Projektil.
»Was willst du?« fragt sie.
»Einen Kaffee.« Er hebt den Rucksack auf einen Hocker, setzt sich auf einen anderen und schaut sie an. »Mit viel Milch.«
»Ich weiß«, sagt sie, »die Maschine braucht noch einen Moment.«
Sie hat es gesagt, als spreche sie von einer Guillotine, putzt und räumt mit irgendwelchen Gerätschaften, bleibt aber in seiner Nähe, als gäbe es etwas zu verpassen. Zwischendrin wirft sie ihm einen Blick hin, als versuchte sie sich zu erinnern, ob sie den fremden Gast schon einmal gesehen hat. Das versteht Fokko falsch.
»Eva«, sagt er, »laß uns das vergessen.«
Für einen Augenblick hält sie inne, schaut ihn mit einem Lächeln an, das er nicht begreift, und nickt. »Gute Idee.«
»Ich habe mir überlegt, wir könnten weiter zusammenleben.«
»Wie?«
»Nur so.«
»Nur wie?«
»Nun, quasi in einer Art Wohngemeinschaft. Die wir doch de facto sind.«
Ihr Lächeln bekommt jetzt tatsächlich so etwas wie eine hauchzarte Nuance.
»Fokko, deswegen ja.«
»Deswegen was?«
Die Kaffeemaschine gibt ein empörtes Zischen von sich. Eva drückt auf einen Knopf, setzt eine Tasse auf die Maschine, stellt die Untertasse zurecht, legt einen Keks und den Löffel an den Rand und schaut ihn an, als hätte sich eben in ihrem Kopf ein Beweis gefunden für die Weltformel.
»Fokko…«
»Ja?«
»Bist du heute noch einmal in meiner Wohnung gewesen?«
»Heute?«
»Heute.«
»Nein«, sagt er. Seine Stimme kommt ihm vor wie die eines Fremden: fest und eine Spur vergnügt. Als wäre eine Lüge ein Scherz. Ehe Eva den Zweifel in ihren flackernden Augen großziehen kann, fällt ihm eine gute Frage ein. »Wieso eigentlich deine Wohnung?«
Sie stellt ihm den Kaffee hin.
»Im Grunde müßtest du gehen.«
»Ich?« Sie lacht dieses sportliche Lachen.
»Ich habe die Wohnung gemietet«, sagt er.
»Papier, nichts als Papier.«
»Ich bezahle sie.«
»Das kannst du gerne weiterhin tun.«
Sie sagt es so selbstverständlich dahin und ist schon wieder mit diesen unaufschiebbaren Obliegenheiten beschäftigt, schließt die Keksdose, tippt seinen Kaffee in die Kasse und wischt über die Arbeitsfläche, als wäre es ihre Seele. Er ist im Recht, hat aber nicht die geringste Chance. Das war immer so. Sie hat von Anfang an begriffen, daß von ihm eine ernsthafte Gegenwehr nicht zu befürchten ist – erst recht kein Angriff. Vielleicht war das ja das tiefere Motiv dafür, daß sie sich überhaupt mit ihm eingelassen hat.
Er schaut ihren Verrichtungen zu, bis sie in der Küche verschwindet.
Möglicherweise liebe ich sie gar nicht, denkt er. Nicht mehr. Habe sie womöglich niemals wirklich geliebt, nur ihren famosen Körper oder die Nähe eines freundlichen Menschen, daß jemand da ist, der einem in den Nischen des Tages ein herzliches Wort gönnt, eine sanfte Berührung.
Er kippt drei Tütchen Zucker in den Kaffee und rührt ihn eine Weile um.
Vielleicht hat sie ja Recht. Wir haben in unterschiedliche Richtungen gelebt, sie vorwärts in die richtige, ich rückwärts in die falsche. Und in der Nacht, in der Dicks Zapfhahn das erste Mal sein buntes Licht in die Dunkelheit unterhalb des Gertrudenbergs entsandte, da sind wir uns lediglich begegnet, es war nur ein einzigartiger Moment, den wir fassungslos zu begreifen suchten und nicht ahnten, daß wir zwar an der selben Stelle standen, aber zu vollkommen gegensätzlichen Zielen unterwegs waren.
Er nimmt den Löffel aus dem Kaffee, und als er den ersten Schluck versuchen will, hat er plötzlich das Gefühl, jemand in seinem Rücken lese in seinen Gedanken wie einer einem über die Schulter in die Zeitung schaut. Er dreht sich um. Da sitzt Jakob Schwammheimer an seinem Platz inmitten einer Zigarrenqualmwolke, dreht das obligate Schnapsglas in den Fingern und schaut ihn lächelnd an.
»Mein Freund Fokko!«
Er hätte es
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