Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
Vom Netzwerk:
tatsächlich das Schicksal höchstpersönlich, ein Racheengel, der dieser obszön verrutschten Pieta auf dem Bett mit sieben Messerstichen Wunden beibrächte, die erst in einer anderen Welt, in einem entfernten Zeitalter tödlich zu bluten begännen. Alles könnte er nun tun, und die Phantasie läßt ihn nicht im Stich, er könnte ihnen künftige Schmerzen bereiten, Ekel und Peinlichkeit. Der perfekte Mord. Er könnte ihr Blut vergießen, aber er vergießt nichts als eine stille Träne, geht aus dem Zimmer und schließt die Tür.
    Die Uhr legt er geöffnet auf das Brett unterhalb des Garderobenspiegels, und wie er sie dort verdoppelt und gespiegelt liegen sieht, hat er die Idee, daß es möglicherweise einen zweiten, einen anderen Mechanismus geben könnte, der die Zeit nicht anhält, sondern rückwärts laufen läßt. Aber er schüttelt nur den Kopf, nimmt seinen Rucksack mit in sein Zimmer und räumt ihn aus. Dann schaut er sich um und überlegt, was er mitnehmen soll. Zahnbürste, Socken und Unterwäsche. Der Band über die niederländische Malerei des Goldenen Zeitalters ist zu sperrig und zu schwer. Ein Handtuch, den Schal und eine Rolle Pfefferminzdrops. Ihm fällt nichts weiter ein, und er mag nicht daran denken, wie diese schreckliche Geschichte überhaupt weitergehen oder enden soll. Die Taschenlampe und das Messer steckt er wieder ein, ebenso die Monographie über den alten Telemann, geht in den Flur, zieht sich den Parka an, doch als er schon im Aufbruch begriffen ist, kommt ihm eine hübsche Idee.
    Pfeifend spaziert er durch die Wohnung, öffnet alle Wasserhähne, dreht das Radio in der Küche und die Stereoanlage in seinem Zimmer auf volle Lautstärke, dann stiehlt er sich doch noch mal in ihr Zimmer, zieht die Vorhänge fort, öffnet das Fenster und schiebt das Tablett mit dem Frühstück unter das Bett. Dabei ist er ihr unerwartet nahe, schaut ihr aus kurzer Distanz in das hübsche Gesicht, in das eine erschrockene Lust eingefroren zu sein scheint.
    »Eva«, sagt er, streicht ihr eine Strähne aus dem Gesicht, versucht vergeblich, Kontakt zu ihr zu bekommen, doch unter ihren eisernen Augenlidern findet er nichts als einen toten Blick. Das macht ihm Angst. Er gibt ihr einen flüchtigen Kuß auf die Lippen. Es fühlt sich nachgiebig an und fremd. »Ich kann die Zeit anhalten, Eva.«
    Er könnte nun in aller Ruhe die Bettdecke anheben, um nachzusehen, wer der Freundin so gnädig ist, aber er will es nicht wirklich wissen, es schmerzt und ekelt und wütet nur in ihm. Er nimmt seine Sachen, hält die geöffnete Uhr in der Hand und geht.
    Auf der anderen Straßenseite drückt er sich in einen Hauseingang. Der Wind hat seine Handschrift im fallenden Schnee hinterlassen. Ein Hund schnüffelt an einem Autoreifen, eine Frau an der Ecke zur Katharinenstraße dreht sich nach ihm um, und ein Junge zielt eben mit einem Schneeball auf ein Verkehrsschild.
    Fokko schließt die Uhr.
    Der Schneeball zerstäubt mit einem dumpfen Dröhnen auf dem Schild, der Hund rennt dem Pfiff der Frau hinterher, der Wind treibt den Schnee in die Häuserecken, da fällt ein infernalischer Lärm auf die Straße nieder, es dauert eine Weile, bis er erstirbt und Raum gibt für ein hysterisches Geschrei, dann erscheint für einen Atemzug Evas knallroter Kopf über ihrem altrosafarbenen Morgenmantel im Fenster, sie schließt es mit Getöse und ist verschwunden.
    Manchmal, denkt Fokko, erscheint einem das Unglück in der Gestalt des Glücks, streicht versonnen über die Uhr, versenkt sie tief in seinem Rucksack und geht.

Kapitel 3
     
    Unweit des Heger Tors steht in einem ruhigen Winkel das Café Crocodile , ein altes, mit wildem Efeu bewachsenes Sandsteinhaus mit Fensterklappen und einem Zwerchdach, in dessen dreieckiger Giebelgaube ein ovales Fenster über die Gäste und die Zeiten wacht wie das Symbol des Gottesauges.
    Ursprünglich ein Bürgerhaus mit einem Vorgarten, das aus der geschwungenen Linie der Nachbarhäuser ein deutliches Stück zurückspringt, wurde es nach dem Krieg als Drogerie eingerichtet und genutzt, ehe Eva es vor einigen Jahren von den steinalten Vorbesitzern übernommen und zu einer Kneipe umgebaut hatte. Sie hatte vieles gelassen, wie es war, hatte nur begonnen, wie sie sagte, das Haus mit warmen Accessoires zu füttern, mit alten Sofas und Sesseln, mit schwarzweißen Fotografien aus guten alten Zeiten, Emailschildern und Landkarten, und auf jeder horizontalen Fläche stehen Kerzen und Blumen. Sie hatte eine kleine

Weitere Kostenlose Bücher