Die Uhr der Skythen (German Edition)
steht. Was uns fehlt, ist der Zugriff drauf. Aber den kann man später bekommen.«
»Und was soll da drinstehen? Name, Geburtsdatum, Adresse? Oder die Zukunft? Das komplette Leben aufgeschrieben, Schritt für Schritt, Wort für Wort, jede Berührung in einer komprimierten Datei, und wenn wir sie je entschlüsseln, können wir in jedem Leben herumschnüffeln wie in einer Biographie.«
»In gewisser Weise funktioniert so unser genetisches Programm. Da ist schon einiges in der DNA festgelegt, ehe es richtig losgeht.«
Schwammheimer entdeckt unversehens die erkaltete Zigarre im Aschenbecher, hat kaum zwei Züge gemacht, nun dreht er sie in den Fingern und betrachtet sie, als hätte sie ihm jemand zugespielt.
»Bemerkenswert«, sagt er dann, »daß die durchaus plausible Abkürzung BIOS noch eine andere, eine sehr viel ältere Bedeutung besitzt. Bios ist das griechische Wort für Leben.«
»Zufall?«
»Wohl kaum. Wahrscheinlich haben die Pioniere der elektronischen Datenverarbeitung das Empfinden besessen, so etwas wie Leben zu erschaffen. Zumindest Intelligenz.«
Schwammheimer nickt seinen eigenen Worten bedeutungschwer hinterher.
»Trink dein Kaffee aus, Monsieur Fokko!« Er steckt die Zigarre wieder in Brand, räumt das Notizbuch zurück und kramt mit seinem Geschirr. »Sodann hole er das Brett, lasse zwei Lebenswasser kommen und für sich selbst das seinige!«
Vor ihm steht plötzlich auf dem Teppich, der eine Tischdecke ist, eine unberührte Tasse Kaffee, und Fokko kommt es vor wie ein perfekt getarntes Miniatur-Raumschiff aus einer entfernten Galaxie, das sich ausgerechnet in seine Nähe verirrt hat mit unverständlichen Botschaften und einem Auftrag, der das Universum radikal verändern sollte. Vergeblich, denkt er, hebt die Tasse an und nimmt einen kleinen Schluck. Der Kaffee ist kalt. Er gießt ihn in einen Blumentopf auf der Fensterbank, holt ein Tablett, räumt den Tisch ab und trägt alles an den Tresen. Eva putzt eben ein paar Küchenmesser.
»Für Schwamm das Übliche und für mich ein Bier.«
Sie nickt, schaut ihn aber nicht an, prüft mit dem Daumen die Schärfe eines Messers.
»Wie war es, so allein ins neue Jahr…«
»Herrlich!«
Sie packt sich das Bündel Messer und trägt es in die Küche. Kommt zurück, zapft sein Bier das erste Stück und stellt die Gläser für Schwammheimer zurecht.
»Wie geht es weiter?«
»Was?«
»Das mit uns…«
Erst jetzt schaut sie ihn an. Ihre Augen glühen wie die Triebwerke eines sich entfernenden Kampfjägers.
»Mit uns ist es aus, Fokko van Steen!« Sie sagt es sehr langsam, damit es Wort für Wort in sein Bewußtsein eindringt. »Aus und vorbei. Endgültig und für immer.«
Sie reißt ihren ätzenden Blick aus seinen Augen, holt eine mittlere Flasche Pellegrino aus der Kühlung und den Aquavit, mit dem sie das kurze Glas bis an den Rand füllt.
»Haben wir nichts mehr gemeinsam?« fragt er.
»Doch. Eine verbeulte Geschichte. Vergangen und beendet.«
Ihre Worte hören sich für ihn beinahe zärtlich an. Das mag daran liegen, daß er sie nicht recht begreift. Wie den Schmerz nicht, den er eigentlich erwartet, aber der ist eher eine Art Schwindel: wie jemand spürt, es wird ihn in den nächsten Sekunden ein Schlaganfall erwischen. Außerdem ist alles nicht echt. Er weiß, daß sie lügt. Aber das macht es nicht besser.
Sie zapft das Bier fertig, und er schaut ihr dabei zu, als wäre sie eines der Mädchen, die gelegentlich aushelfen. Dann trägt er das Tablett an den Tisch, holt das Carrombrett von der Wand, die Zigarrenkiste mit den Steinen, das Puder, das Buch.
»Du lebst also in die falsche Richtung«, sagt Schwammheimer, legt die Zigarre beiseite und blättert im Anschreibebuch. »Du fängst an.«
»Ja.« Fokko gibt Puder auf das Brett und baut die Steine auf.
»Das glaube ich nun nicht. Das Leben ist zwar dem Diktat der Chronologie unterworfen, aber der Mensch unterscheidet sich ja eben von dem schönen Rest der Schöpfung, weil er sich umschauen kann. Du erinnerst dich, daß sich eben eine attraktive Frau in unserer Nähe aufgewärmt hat.«
»Ja.«
»Du erinnerst dich nicht nur an die Anwesenheit der Frau, sondern auch an ihren, na ja, Gemütszustand, an das, was wir über sie geredet und vermutet haben.«
»Ja«, sagt Fokko und schickt seinen Striker auf die Reise. Die Steine fegen in panischer Eile über das Brett. Schwammheimer nimmt Maß, setzt seinen Striker auf die Grundlinie und versenkt den ersten schwarzen Stein.
»Wir
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