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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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Zigarette, schaut dem Rauch nach, der sich auf der Fensterscheibe verteilt, hört, wie das erste Stück der Suite verklingt, geht in die Küche und drückt die Kippe in einen Aschenbecher.
    »Du warst schon unterwegs?« fragt er.
    »Wieso?«
    »Dein Wagen steht vor der Tür.«
    Schwammheimer jongliert mit ein paar Eiern, Salz und Petersilie in einer Pfanne, beschickt nebenher die Kaffeemaschine, sucht Geschirr und Besteck zusammen, stellt es auf dem Küchenschrank zurecht und hält unversehens inne, als würde ihm erst im Moment klar, daß Fokko eine subtile Frage gestellt hat.
    »Heute ist Sonntag«, sagt er und lacht, »ich war in der Frühmesse.«
    »Wie bitte?«
    »Im Dom. Manchmal ist mir danach.«
    »Da war ich gestern früh. Hatte die Uhr schon im Rucksack und hätte die Konsekration in die Länge ziehen, mir einen dreifachen Segen erschleichen können, nur hatte ich da noch keinen blassen Schimmer von ihren Möglichkeiten.«
    »Von deinen Möglichkeiten…«
    »Ja.«
    Eine Weile bereiten sie das Frühstück vor, als lebten sie schon immer in einer wortkargen Bruderschaft. Griegs Suite erfüllt das Arbeitszimmer ganz und gar, und als er am großen Tisch Platz genommen hat, als Schwammheimer die Musik leiser gedreht und den Kaffee gebracht hat, fragt sich Fokko, was für eine Sorte Gastfreundschaft das ist, die er jetzt in Anspruch nimmt, ob es sie ohne die Wunderuhr überhaupt gäbe.
    »Peer Gynt«, sagt Schwammheimer und nimmt eine Scheibe Brot.
    »Darf ich mich«, fragt Fokko, »in deinem Gästezimmer ein wenig ausbreiten?«
    »Ist wie andauernd Süßkram.«
    »Ich möchte ein paar Bücher holen, etwas Musik.«
    »Kriegt man Kratzen im Hals und Verdauungsprobleme.«
    »Und ein paar Klamotten.«
    »In der Halle des Bergkönigs!« ruft Schwammheimer aus, legt Messer und Gabel beiseite, eilt zur Anlage, schaltet sie aus und wirft Fokko die CD hin. »Dieses unheilvolle Getöse bringt niemandem mehr das Fürchten bei.«
    Er setzt sich zurück, schneidet einen Bissen vom Käsebrot und verschlingt ihn.
    »Da oben kannst du tun und lassen, was dir gefällt. Und hören was du willst.«
    »Danke, Schwamm.«
    »Kein Problem, stopf rein in die gute alte Bude, was geht!«
    Eigentlich will er das nicht: sich vorübergehend seßhaft machen. Dazu bei jemandem, den er kaum als wirklichen Freund begreifen dürfte. Sie kennen sich zwar schon lange, haben über die Jahre einiges unternommen und erlebt, aber so etwas wie eine private Nähe hat es zwischen ihnen niemals gegeben. Da ist ihm Dick vertrauter, und vielleicht sollte er den morgen fragen, ob er nicht eine Pritsche in den Sozialraum stellen und die nächste Zeit in der Tankstelle schlafen darf.
    Er schaut sich um. Das Arbeitszimmer spricht eine eigene Sprache. Davon hat er freilich nichts gewußt, hätte sich einen solchen Raum nie und nimmer für den großen Schwamm vorgestellt, hat keine Ahnung gehabt, wie ernsthaft und entschlossen er jenseits der eitlen Inszenierungen im öffentlichen Raum des Crocodile als Schriftsteller arbeitet, und solch eine Schrulligkeit wie das Zahlenbuch als Medizin gegen die Weiße-Blatt-Allergie ist sehr sympathisch. Dennoch will er hier nicht wohnen. Eigentlich will er nichts. Nichts anderes, als daß alles so bliebe, wie es gewesen ist. 
    »Was sind das für Fotos?« fragt er.
    Schwammheimer legt das Besteck beiseite, wischt sich mit einer Serviette über den Mund, nimmt einen Schluck Kaffee und weiß sofort, wovon Fokko spricht.
    »Mein halbes Leben hängt da oben. Ist ein vortreffliches Geschichten-Reservoir.«
    »Es kam mir vor, als würden die Fotos in der Nacht lebendig.«
    »Verstehe«, sagt Schwammheimer und lacht, »Tapetenillusionen.«
    »Veränderst du da was? Gelegentlich?«
    »Allerdings. Regelmäßig. Aber ich modifiziere nichts, alles bleibt, wie es ist, nur daß ich die alten Bilder mit neuen überklebe. Überlege, was mir unwichtig ist, was ich vergessen will. Mache quasi die Arbeit eines Gehirns, bin der Herr meiner eigenen Erinnerung.«
    »Und das klappt.«
    »Nein und ja. Wir vergessen kein Wort unseres Lebens, alles ist gespeichert, nur daß wir vielleicht den Zugriff verlieren, außerdem gibt es Computerviren, die in der Lage sind, die Daten zu manipulieren, ihnen eine veränderte Bedeutung zu geben, eine andere Farbe, ein anderes Gewicht.«
    »Was für Computerviren?«
    »Gefühle.«
    Fokko schaut ihn an. Das ist nicht der große Schwamm, der mit einstudierten Gesten auf eiskalt kalkulierte Effekte spekuliert,

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