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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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Haus am Geruch wieder, eine spezifische Mischung aus Torf, Bohnerwachs und schwarzem Tee. Fox stellt den Koffer auf die erste Stufe der Treppe, hängt die Jacke an einen Haken und geht in die Küche voraus. Fokko nimmt den Rucksack ab, zieht den Parka aus und schaut sich um. Den Grundriß könnte er zeichnen, aber die Seele des Hauses hat sich spürbar verändert. Der alte Spiegel hängt noch immer im Flur. Als er sich davorstellt, sieht er sich von vorn und hinten verhundertfacht und in gespenstischer Gesellschaft einer martialischen Schönheit aus einem Comic, die auf der Fläche eines gegenüberliegenden Spiegels aufgemalt ist. In der Küche stehen die Möbel, die er aus der Kindheit kennt, aber sie sind in ein neues, belebtes Zeitalter getreten. Die Beine des Tisches sind mit floralen Schnitzereien überzogen, um die Kante läuft wie ein gedrehtes Tau ein Fries und aus einer Ecke wächst eine Fratze wie ein Wasserspeier. Der Schrank ist en miniature wie ein kauziges Haus mit Fenstern, schadhaftem Mauerwerk und Graffiti bemalt, über eine Ecke verläuft ein Fallrohr, und hinter einer der Scheiben steht bei den Tassen eine modellierte Gruppe von Figuren, die mit Einkaufskorb, Schulranzen und Aktenkoffer auf den Bus warten. In der Ecke des Rahmens steckt wirklich ein Zettel mit einer Notiz.
    »Tee?« Fox füllt den Behälter des Heißwasserbereiters zur Hälfte, spült eine Kanne aus, setzt ein Teesieb hinein und nimmt von der Ladefläche eines Lastwagens, der auf einem Regalbrett vor einer roten Ampel wartet, ein Holzkästchen.
    »Danke, gern.«
    Seine Bilder hängen überall. Fast könnte man meinen, er malt sie eigens für die Flächen, die in seinem Häuschen noch frei sind. Zwischen der Spüle und der Tür in den Garten hängt ein Bild, beinahe zwei Meter hoch und nicht breiter als vielleicht eine Handspanne, darauf ist eine ewig abstürzende Steilküste zu sehen. Oben, gegen den diffusen Himmel, steht eine Frau in der Pose einer Herrscherin an der Felskante, das grüne Kleid und die roten Haare flattern im Wind, der vom Meer kommt, von dort, wohin ihr eiserner Blick geht, und im Arm hält sie eine rot-weiße Latte, wie sie Vermessungstechniker benutzen. Unten, im Schatten des monströsen Felsenberges, steht ein Nashorn auf dem schmalen Streifen Sandstrand, hat sich wie die Königin, von der es nichts wissen kann, zum Meer, zum Horizont ausgerichtet, scheint trotz der Distanz zu ihrer Majestät in einem unklaren Verhältnis zu der Frau zu stehen: wie ein gepanzerter Vasall, ein mystischer Verbündeter oder ein verwunschener Gemahl.
    »Hunger?« Fox stellt eine Schale mit Äpfeln auf den Tisch und macht Fokko ein Zeichen auf das Sofa, über dem ein schräges Bild hängt, ein aufrechtes Parallelogramm, auf dem ein paar Menschen im Schatten einer mittealterlichen Stadtfestung stehen, und staunend einen gewaltigen, gelben Farbklecks betrachten, der über ihnen in der Luft schwebt.
    »Danke«, sagt er, »ich habe in Emden was gegessen.«
    Fox stellt Brot, Butter und Käse hin, holt ein Brett und ein Messer und sieht nach dem Tee.
    »Emden«, sagt er, bringt zwei Tassen, Löffel, Kandiszucker und ein Stövchen, »da war ich eine Ewigkeit nicht.«
    Über dem Herd hängt noch immer die hellblaue Küchenuhr, die Hinrichs Vater dort vor einhundert Jahren aufgehängt hat. Das Zifferblatt ist durch eine gewölbte Glasscheibe in einem Metallring geschützt, die man wie ein Fenster öffnen kann. Drunter hängt an einem Nagel ein Vierkantschlüssel. Es ist Viertel vor eins.
    So einen ähnlichen Schlüssel hatte er für die Rollschuhe, mit denen er von Pogum her in kaum zehn Minuten am Hafen war. In kleinerem Maßstab gab es sie für Spielzeugautos und riesengroß für die Luken auf den Kuttern.
    Fox gießt ihnen Tee ein.
    »Is kalt hier«, sagt er und macht sich an der Kochmaschine zu schaffen, öffnet eines der Feuerlöcher, stochert in der Asche und hält einen Zeitungszipfel hinein, bis eine Flamme aus dem Loch züngelt und ein unheilvolles Licht in das Bild neben dem Schrank wirft, ein Hochhaus aus überdimensionalen Matratzen, an dessen Fassade zwei nackte Männer in die Höhe klettern. Oder hinab. Aus einem Korb nimmt er Brennholz, läßt es in den Ofen rutschen, setzt mit einem Haken die zentrale Scheibe auf das Loch zurück, rüttelt unten am Aschekasten und wäscht sich die Hände am Spülbecken.
    Hier, denkt Fokko, steht die Zeit sowieso still.
    »Du wohnst hier schon immer, nicht wahr?«
    Fox stützt die Ellenbogen

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