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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Cordes
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auf den Tisch, legt die Hände um die Teetasse und nickt. Seine Augen sind von unbeschreiblicher Klarheit.
    Es ist ein Déjà vu. Gewiß kein echtes, aber eine zuverlässige Parallelität. Dasselbe hat er Schwammheimer gefragt. Das war gestern. Oder vorgestern?
    »Und allein?«
    »Seit fünf Jahren.«
    Alles ist schon sonderbar weit entfernt, Emden am jenseitigen Ufer der Ems, Osnabrück erst recht, Schwammheimer, und Eva. Hier ahnt niemand etwas von der Zauberuhr, und es wird auch niemand etwas davon erfahren.
    »Das Haus hat sich nicht verändert«, sagt er. »Und doch.«
    Fox löst den Pferdeschwanz, die welligen, graumelierten Haare fallen ihm auf die Schulter, er schüttelt den Kopf und nickt. Es ist nicht nur die Frisur, die an den Kollegen aus dem Mittelalter denken läßt, es gibt tatsächlich eine physische Ähnlichkeit, die schlanke Form des Kopfes, der charakteristische Schnitt des Profils, vor allem aber das innere Licht, das in den Augen glänzt. Hinrich de Vries trägt freilich keinen Vollbart wie Albrecht Dürer, sondern nur einen schmalen, aufrechten Streifen zwischen Unterlippe und Kinn, an dem er jetzt mit Daumen und Zeigefinger spielt.
    »Gibt es die Beste Stube noch?« fragt Fokko.
    »Ist nun Schlafzimmer.«
    »Und oben?«
    »Alles Atelier.«
    »Der Spitzboden?«
    »Magazin und Gästezimmer.«
    Er beugt den Kopf weit über die Tasse, hebt sie ein Stück weit an, pustet über den Tee und nimmt vorsichtig einen Schluck.
    »Kriegst du oft Besuch?«
    »Heute.«
    »Und sonst?«
    »Nie.«
    Fokko nimmt nun auch den ersten Schluck. Es ist eine Köstlichkeit. Er weiß, es liegt nicht am Tee, es liegt am unvergleichlichen Wasser, das frei ist von Kalk, aromatisiert von den Mooren und tausendjähriger Viehwirtschaft.
    »Was hast du da gemacht, all die Zeit?« fragt Fox.
    »Wo?«
    »In der Stadt.«
    Das ist so eine Frage. Er berichtet Fox von den Menschen, die er kennengelernt hat, von der Arbeit an der Tankstelle und von seiner Wohnung, er läßt kaum etwas aus, erfindet nichts dazu und empfindet zuletzt doch, eine schlechte Geschichte erzählt zu haben. Fox scheint dieses Gefühl zu teilen. Er nickt ein paarmal, stellt die Tasse zurück und streicht sich das Haar aus dem Gesicht.
    »Gut«, sagt er dann. »Haste nu vor?«
    »Bleiben.«
    Fox zieht das Brett zu sich heran, nimmt das Messer, schneidet sich eine Scheibe vom Brot und streicht Butter drauf.
    »Mit einem Koffer?«
    »Alles andere hole ich später mal.«
    Er fühlt sich unwohl, kommt sich vor, als müßte er eine Aufnahmeprüfung bestehen, sich rechtfertigen für das, was hinter ihm liegt, für das, was er vorhaben könnte. Vielleicht ist es ein Fehler gewesen, ohne weiter nachzudenken alles aufzugeben, wahrscheinlich aber war der erste Gedanke der richtige: daß es von Anfang an falsch war, sich weiter als bis Leer auf den Kontinent zu wagen.
    »Wenn was zu Ende geht, fängt was an.«
    Da er es sagt, scheint alles gut zu sein. Fox nickt wieder mit Bedacht und spricht: »Das erzählst du ausgerechnet einem Fährmann!«
    Ihr Lachen ist von früher, und Fokko kommt es unversehens vor, als hätte er just für ein paar Tage Verwandte in der großen Stadt besucht.
    »Willste nach Pogum?« fragt Fox.
    »Weiß nicht. Erst mal sehen, wie es da aussieht.«
    »Lebt dein Alter noch?«
    »Keine Ahnung.«
    Hinrich ißt. Das hat er schon als Kind mit einer hingebungsvollen Ausschließlichkeit getan und sprach kein Wort und nahm sich alle Zeit mit einem nach innen gekehrten Blick, als müßte er den Weg verfolgen, den die Mahlzeit nimmt. Das Messer, mit dem er den Käse schneidet, sieht Fokko noch in der Hand der Mutter, wie sie den Laib mit einer Hand an ihre großherzige Brust drückt, mit der anderen in einer wie segnenden Bewegung das Brot teilt. Seine Haltung hat sich nicht verändert. Schon als Schüler saß er mit rundem Rücken da, den Kopf zwischen den Schultern, als säße er schon gegen den straffen Wind auf dem Rad und nicht am Küchentisch, von wo er jeden Morgen denselben ruhigen, freundlichen Blick verschenkte, wenn Fokko kam, ihn zur Schule abzuholen. Das ist etwas, wie er jetzt erst spürt, was er schmerzlich vermißt hat, daß sich Verhältnisse nicht ständig verändern, daß es Dinge gibt, die lebenslang fraglos Bestand besitzen.
    Linkerseits hängt ein Bild an der Wand, das den Ausschnitt einer kargen Landschaft zeigt, eine verdörrte Ebene, im Vordergrund nichts als ein paar Felsbrocken, im Hintergrund eine hermetische Stadtfeste mit hohen

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