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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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Eingangshalle, den man mit Stra ßenschuhen nicht betreten durfte, schluckte das Neonlicht, so dass der Flur düster wirkte. Auch dem Teint der drei Frauen verlieh die rote Farbe einen finsteren, trüben Anstrich. Ob ich selbst wohl auch so aussehe, dachte Masako, als sie die müden Gesichter ihrer Kolleginnen betrachtete.
    Vor dem Schuhschrank wartete der Hygiene-Kontrolleur mit einer Fusselrolle in der Hand. Mit missmutigem Gesicht fuhr der wortkarge Komada einer nach der anderen mit dem Kleberoller über den Rücken, um zu verhindern, dass von draußen Staub und Schmutz hereingetragen wurden.
    Sie betraten den großen, mit Tatami ausgelegten Aufenthaltsraum. Die Arbeiter saßen in Grüppchen zusammen und schwatzten. Sie trugen alle bereits die weiße Arbeitskleidung und warteten, Süßigkeiten essend oder Tee schlürfend, auf den Beginn der Schicht. Einige hatten sich auch hingelegt und die Augen geschlossen, um sich wenigstens ein bisschen Ausgleich für ihren Schlafmangel zu verschaffen.
    Von den beinahe hundert Beschäftigten der Nachtschicht kamen
ein Drittel aus Brasilien, etwa zu gleichen Teilen Männer und Frauen. In den Semesterferien stieg der Anteil jobbender Studenten, aber das Gros der Schicht stellten Teilzeit arbeitende Hausfrauen zwischen vierzig und sechzig.
    Die drei Frauen bahnten sich einen Weg zum Umkleideraum und tauschten hier und da einen Gruß mit Dienstälteren aus, als sie Yayoi Yamamoto bemerkten, die alleine in einer Ecke des Raumes saß. Als läge ihr irgendetwas auf der Seele, kauerte sie in sich zusammengesunken auf den Tatami und lächelte selbst dann nicht, als sie ihre Kolleginnen erkannte.
    Masako sprach sie an: »Guten Morgen, Yama-chan!«
    Ein Lächeln der Erleichterung erschien auf Yayois Gesicht, verschwand aber gleich wieder wie eine zerplatzte Seifenblase.
    »Du siehst müde aus.«
    Yayoi nickte, presste die Lippen aufeinander und machte ein bedrücktes Gesicht. Sie war die schönste von den vier Frauen, nein, von allen Arbeiterinnen der Nachtschicht. Ihr Gesicht vereinigte perfekt geformte Komponenten: eine hohe Stirn, Brauen und Augen, die in anmutiger Balance zueinander standen, eine nach oben geschwungene Nase und volle Lippen. Auch ihr Körper war schön: klein, doch die Proportionen stimmten. Weil sie in der Fabrik derart hervorstach, wurde sie gehänselt und verhätschelt zugleich.
    Masako beschützte Yayoi. Im Unterschied zu sich selbst, die alles Unvernünftige nach Kräften auszuschalten suchte, trug Yayoi Gefühlsballast im Überfluss mit sich herum. Für Masako war Yayoi, die unbewusst alles das besaß, was sie selbst mit der Zeit gelernt hatte, als deprimierend abzuwerfen, eine niedliche kleine Frau, die bereitwillig Einblicke in immer neue Winkel ihres komplizierten Herzens gewährte.
    »Na, was ist denn los heute, dir scheint es ja gar nicht gut zu gehen.« Yoshië gab ihr mit ihrer geröteten Hand einen Klaps auf die Schulter. Yayoi schrak zusammen und zitterte am ganzen Leibe. Verwundert über diese Reaktion, drehte Yoshië sich zu Masako um. Die bedeutete den beiden anderen mit den Augen, doch schon weiterzugehen, und setzte sich vor Yayoi hin.
    »Ist dir vielleicht schlecht?«
    »Nein, es ist nichts.«

    »Hast du dich mit deinem Mann gestritten?«
    »Ach, wenn’s nur das wäre«, sagte Yayoi bedeutungsvoll und starrte mit verschwommenem, düsteren Blick auf einen unbestimmten Punkt hinter Masako. Während sie sich, um Zeit zu sparen, schon einmal ihr schulterlanges Haar mit einer Spange zusammenband, fragte Masako: »Was ist denn passiert?«
    »Erzähl ich später.«
    »Erzähl’s mir jetzt«, drängte sie, während ihr Blick prüfend zur Uhr an der Wand ging.
    »Nein, lass mich, es würde zu lange dauern.«
    Für einen winzigen Augenblick flackerte Zorn in Yayois Gesicht auf und war sofort wieder verschwunden. Masako gab auf und erhob sich: »Wie du willst.«
    Sie hastete in den Umkleideraum und suchte ihre Arbeitskleidung heraus. Umkleideraum war zu viel gesagt, es handelte sich um einen lediglich durch einen Vorhang vom Aufenthaltsraum abgeteilten Bereich. Wie beim Schlussverkauf im Kaufhaus reihten sich dort auf engstem Raum robuste Kleiderständer aneinander, an denen die Arbeitsanzüge auf privaten Bügeln hingen. Auf der einen Seite hingen die weißen Arbeitssachen, die die Beschäftigten der Tagschicht abgelegt hatten, auf der anderen die bunte Privatkleidung der Nachtschichtarbeiter, die sich bereits umgezogen hatten.
    »Wir gehen schon vor.«

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