Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Jahre alt; da konnte man nicht so einfach alles hinschmeißen. Es war schwer, einen Schlussstrich zu ziehen, wenn man nicht wusste, wohin man gehen sollte.
Die beiden Frauen gingen schweigend bis zum Parkplatz und schlossen die Türen ihrer Autos auf.
»Na dann, gute Nacht, schlaf gut!«
»Gute Nacht!«
Seit wann wünscht man sich morgens eine Gute Nacht, dachte Masako, als sie sich tief in den Sitz fallen ließ. Die Müdigkeit stürmte jetzt mit aller Macht auf sie ein, sie blickte zum Himmel auf, doch das Tageslicht war so grell, dass ihr die Augen wehtaten.
2
Kuniko drehte den Zündschlüs sel um. Der Golf sprang sofort an, und das laute Motorengeräusch hallte zuverlässig über den Parkplatz. Sie war froh, endlich ein einwandfrei funktionierendes Auto zu besitzen. Letztes Jahr hatte sie über 200 000 Yen für Reparaturen ausgeben müssen.
Auf dem Parkplatz neben ihr hob Masako, die im Allgemeinen mit Höflichkeiten geizte, kurz die Hand und fuhr in ihrem Corolla davon. Kuniko senkte den Kopf, wartete artig, bis das Auto der Älteren verschwunden war, und atmete dann erleichtert auf. Masako, die ihr wie ein Wesen von einem anderen Stern vorkam und von der man nie wusste, was sie dachte, war ihr nicht ganz geheuer.
Kaum hatte sich Kuniko von ihren Arbeitskolleginnen verabschiedet, fiel die dicke Maske, hinter der sie sich verschanzte, von ihr ab, und ihr wahres Gesicht kam zum Vorschein. Wie kann sie bloß ein so uraltes Auto fahren, dachte Kuniko, während sie auf das verbeulte und verkratzte Heck des Corollas starrte, der noch an der Ampel jenseits der Parkplatzausfahrt wartete. Der rote Lack war so stumpf, der ganze Wagen so verdreckt, dass er mindestens Hunderttausend auf dem Buckel haben musste. Und dann auch noch der rote Sticker auf der Scheibe, der zu vorsichtigem Fahren mahnte! Konnte sich dieses Weib nicht wenigstens einen
anständigen, nicht ganz so betagten Gebrauchtwagen anschaffen, so wie sie selbst, oder ein neues Auto auf Kredit kaufen! Und überhaupt – für ihr Alter hatte Masako noch ein passables Gesicht und eine gute Figur, aber sie machte nichts daraus, das war ihr Fehler.
Kuniko schob eine Kassette in den Radiorekorder. Augenblicklich war das Wageninnere von einer schrillen Frauenstimme erfüllt, die einen Popsong wie japanische Volksmusik vortrug. Unerträglich heiß war es hier drinnen! Kuniko nahm die Kassette sofort wieder heraus. Sie hatte überhaupt keine Lust auf Musik. Froh, endlich von der harten Arbeit erlöst zu sein, hatte sie bloß einmal an den Funktionen ihres Autos herumspielen wollen.
Nachdem sie die Fächer der Klimaanlage so verstellt hatte, dass der Wind direkt auf ihren Körper gerichtet war, öffnete sie das Verdeck. Wie eine Schlange, die sich häutet, schob die Plane sich langsam zusammen. Kuniko liebte diesen aufregenden Augenblick, in dem sich das scheinbar Banale in etwas Außergewöhnliches verwandelte. Ach, wenn es doch im Leben genauso zuginge!
Ihre Gedanken wanderten wieder zu Masako. Diese komische Type trug immer bloß Jeans und ein verwaschenes T-Shirt oder Polohemd ihres Sohnes. Im Winter darüber ein Sweatshirt, einen schlichten Pullover oder, was noch schlimmer war, eine Daunenjacke, deren Löcher sie mit Klebeband geflickt hatte, damit die Federn nicht austraten!
Die kahlen Bäume im Winter hatten sie an Masako erinnert, die Ähnlichkeit war frappierend. Ihr Körper, ohne jedes überflüssige Gramm, der ziemlich dunkle Teint. Die scharfen Augen, die zierliche Nase und die schmalen Lippen – kein Millimeter zu viel. Wenn sie sich nur ein wenig schminken und etwas teurere Kleidung tragen würde, so wie sie selbst – sie könnte so hübsch aussehen und fünf, sechs Jahre jünger wirken. Welch eine Verschwendung! Kuniko geriet in einen komplizierten Gemütszustand, der zwischen Neid und Verachtung schwankte.
Dafür bin ich hässlich, hässlich und fett, dachte sie. Sie betrachtete sich im Rückspiegel, und wieder packte sie das allgegenwärtige Gefühl der Verzweiflung.
Trotz ihres großen Gesichts mit dem breiten Kinn hatte sie kleine Augen. Die Nase war platt und ausladend, der Mund dagegen
zusammengezurrt und spitz. Ihr Gesicht war eine einzige Katastrophe, missgebildet, alles daran war entweder zu groß oder zu klein. Und am Morgen nach einer Nachtschicht sah sie besonders furchtbar aus. Kuniko zog ein Reinigungstissue aus dem Kosmetiktäschchen von Prada und tupfte sich damit die fettig glänzenden Stellen ab.
Sie wusste nur zu gut,
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