Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
um den blauen Fleck vor den Augen der anderen zu verbergen.
Selbst wenn sie in den Umkleideraum zurückginge – sie hätte keinen Kittel zum Wechseln gehabt, also arbeitete Yayoi weiter, Hintern und beide Ärmel voller klebriger Schweinebratensoße. Die dicke Soße erstarrte auf dem weißen Stoff sofort zu einer braunen Masse, ohne nach innen durchzudringen. Doch der Gestank war atemberaubend.
Fünf Uhr dreißig. Die Schicht war zu Ende, keine Überstunden. Die Arbeiter strömten in den ersten Stock zurück. Für gewöhnlich holten sich die vier Frauen, nachdem sie sich umgezogen hatten, noch etwas zu trinken aus dem Automaten im Aufenthaltsraum und hielten für etwa zwanzig Minuten ein Schwätzchen, bevor sie nach Hause fuhren.
»Was ist denn heute los mit dir? Was hast du?« Yoshië, die den Fleck nicht gesehen hatte, sah Yayoi ahnungslos an. Nach getaner Nachtarbeit hatte sich die Müdigkeit in Yoshiës Gesicht gegraben und ließ sie exakt so alt aussehen, wie sie war.
Yayoi trank einen Schluck Kaffee aus ihrem Pappbecher und dachte eine Weile nach, bevor sie antwortete. »Ich hab mich gestern mit meinem Mann gestritten.«
»Meine Güte, streiten tut sich doch jeder einmal, nicht wahr?« Yoshië lachte Kuniko an und wartete darauf, dass sie ihr beipflichtete. Eine dünne Mentholzigarette frivol im Mundwinkel, die Augen halb geschlossen, stimmte Kuniko unverbindlich mit ein: »Versteht ihr euch denn nicht gut zu Hause? Wo ihr doch ständig mit den Kindern rausfahrt und so.«
»In letzter Zeit nicht mehr«, murmelte Yayoi.
Masako starrte schweigend in Yayois Gesicht. Sie hatte das Gefühl, wenn sie sich erst hinsetzte, würde sie sich wohl längere Zeit nicht rühren können, so sehr lastete die Erschöpfung auf ihr.
»Tja, solche Phasen kommen eben auch vor. Im Leben gibt es immer Höhen und Tiefen...«
Als Yoshië, die Witwe, das Thema schon mit solchen Floskeln beenden wollte, brach es aus Yayoi heraus, und sie sagte scharf: »Ach was, der Kerl kommt an und sagt, er hätte unser gesamtes Erspartes ausgegeben! Da bin ich ausgerastet!«
Die Heftigkeit von Yayois Worten und deren ernster Inhalt lie ßen alle verstummen.
»Wofür hat er es ausgegeben?«, fragte Masako, wobei sie sich eine Zigarette in den Mund steckte und anzündete.
»Verspielt, sagt er. Beim Bakkarat, oder wie dieses Glücksspiel heißt.«
Erstaunt riss Yoshië die Augen auf: »Aber dein Mann scheint doch ein ganz solider Angestellter zu sein. Wieso hat er sich plötzlich aufs Spielen eingelassen?«
»Tja...« Yayoi schüttelte kraftlos den Kopf. »Er hat da wohl eine Stammkneipe. Aber ich weiß es nicht so genau.«
»Wie viel hattet ihr denn so ungefähr gespart?« Kuniko konnte ihre Neugier nicht verbergen, ihre Augen leuchteten.
»So etwa fünf Millionen«, 1 antwortete Yayoi mit ersterbender Stimme.
Kuniko schluckte und zog einen Moment lang ein neidisches Gesicht. »So was kann man wirklich nicht durchgehen lassen!«
Als Kuniko das sagte, kam bei Yayoi wieder der Zorn zum Vorschein, den Masako zuvor schon bemerkt hatte: »Ja, eben! Und dann hat er mich auch noch in den Bauch geschlagen!« Sie hob ihr Oberteil hoch und zeigte allen den blauen Fleck. Yoshië und Kuniko sahen sich an.
»Mittlerweile bereut er das bestimmt schon«, lenkte Yoshië ein. »Ich habe unzählige Ehekräche hinter mir, glaub mir, und wir haben uns dabei jedes Mal geschlagen. Aber mein Mann war gewalttätig – deiner ist doch nicht so.«
»Da bin ich mir nicht mehr so sicher!«, zischte Yayoi und strich sich über dem T-Shirt mit der Hand über die Magengrube.
Draußen war es schon hell. Der zu Ende gegangenen Nacht schien ein ebenso schwüler, heißer Tag zu folgen. Vor der Eingangshalle der Fabrik verabschiedeten sich Masako und Kuniko von Yoshië und Yayoi, die mit dem Fahrrad nach Hause fuhren, und gingen Richtung Parkplatz.
»Dieses Jahr scheint die Regenzeit trocken zu bleiben.«
»Das gibt bestimmt Wassermangel.« Kuniko sah zum trüben Himmel auf. Ihr fettes Gesicht wirkte schwammig und glänzte.
»Wahrscheinlich, wenn es so weitergeht.«
»Hör mal, Masako, was, glaubst du, wird Yayoi denn jetzt machen?«
Masako zuckte die Achseln.
Kuniko gähnte laut und fuhr fort: »Also, ich würde mich scheiden lassen. Da soll man nicht ausrasten! Wenn der eigene Mann die ganzen Ersparnisse verpulvert, für sich allein!«
»Ja, da hast du Recht.« Sie tat so, als wäre sie ganz Kunikos Meinung, aber Yayois Kinder waren erst fünf und drei
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