Die UnderDocks - Verschwörung in der Hafencity
einmal schrie er voller Glück gegen den Wind an. Er hoffte, dass ihn bei dem Lärm der Straße und des Hafens keiner hören würde. Aber hier oben würde ihn wohl auch niemand vermuten. Die Bewohner des Hauses sowieso nicht. Dafür waren die dreifach verglasten Thermopenfenster zu gut schallisoliert.
Er hatte sich äußerst konzentrieren müssen, um in diese Stellung zu gelangen. Alles hing von seiner Atmung und seiner Konzentration ab. Der kleinste Fehler konnte ihn abstürzen lassen. Denn in dem Augenblick, in dem er den Atem anhielt, um eine Hand oder eine Fußspitze in die Wand gleiten zu lassen, durften die anderen drei Fixpunkte an Händen und Füßen ihren Halt nicht verlieren. Er durfte nicht einfach den Willen haben, durch die Wand zu gleiten,sondern musste sich nun immer im Wechsel auf eine bestimmte Hand oder einen Fuß konzentrieren. Eine äußerst schwierige Angelegenheit, die, wie Leon schnell merkte, einiges an Übung erforderte. Wenn ihm diese Koordination aber perfekt gelang, dann konnte er langsam, ähnlich einem Bergsteiger, oder besser: wie Spiderman in den uralten Comics und Filmen, jede beliebige Wand hinauf- oder hinunterklettern.
Äußerst vorsichtig kletterte Leon probeweise vom vierten hinunter in den dritten Stock. Einige Male passte er nicht richtig auf und schon flutschten ihm beide Hände gleichzeitig aus der Wand. Fast wäre er dabei abgestürzt und kopfüber an den Füßen hängen geblieben. Doch jeweils in letzter Sekunde konnte er seine Fehler korrigieren und Schlimmstes verhindern. Schweißnass vor Anstrengung erreichte er den dritten Stock, wo er einen Blick durchs Fenster wagte. Niemand schien da zu sein.
Sollte er es tun? Er wusste, dass er es nicht durfte. Eigentlich. Pep hatte er für diesen Gedanken noch zusammengestaucht. Aber jetzt spürte Leon, wie groß die Versuchung war, einfach mal in die Nachbarwohnung einzusteigen. Nur zum Test. Er würde nichts anrühren. Und so schnell wie möglich wieder verschwinden. Niemand würde es mitbekommen.
Leon konnte nicht widerstehen. Schon flutschtesein rechter Fuß durch die Wand. Wie von selbst zog er den restlichen Körper nach und einen Moment später stand er in der fremden Wohnung.
Er hatte keine Ahnung, wer hier wohnte. Das Haus war zwar schon lange fertiggestellt, aber Leon und seine Eltern waren erst vor etwa einem Jahr hier eingezogen. Auch in den anderen Wohnungen schien es häufige Wechsel zu geben. Denn viele Bewohner merkten schnell, dass ein Leben in der Hafencity bei Weitem nicht so romantisch war, wie es die Hochglanzprospekte versprachen. Ein Hafen machte Lärm, die vielen Touristen ebenso und die Mieten und Kaufpreise waren dafür sehr hoch.
Irgendwie schien in dieser Wohnung aber ein cooler Typ zu wohnen, fand Leon. Eine Wand war pechschwarz gestrichen und mitten im Zimmer stand ein riesiger Flügel. Das einzige Möbelstück war ein Liegesessel. Nicht etwa so ein Luftkissen-Sessel wie bei Leons Eltern, sondern ein richtiger, alter, lederner Liegesessel.
Leon hätte gern gewusst, wer hier wohnte – und erfuhr es früher, als ihm lieb war. Denn kaum war er in dem Zimmer gelandet, betrat der Nachbar vorn durch die Haustür seine Wohnung. Leon fluchte. In diesem Raum gab es nichts, wo man sich hätte verstecken können. Schon hörte er Schritte näherkommen. Der Nachbar kam in dieses Zimmer!
Jetzt sah Leon keine andere Möglichkeit. Er hielt den Atem an und verschwand rückwärts durch die Wand ins Nebenzimmer, exakt in dem Moment, als der Nachbar das Klavierzimmer betrat.
Das war gerade noch mal gut gegangen! Leon drehte sich um, um zu sehen, wo er überhaupt gelandet war. Vor Staunen klappte ihm die Kinnlade herunter. Was war das für eine verrückte Wohnung? Nebenan, wo eigentlich das Wohnzimmer hätte sein sollen, befanden sich nur ein Flügel und ein Liegesessel. Und hier, wo er ein Schlaf- oder ein Kinderzimmer erwartet hätte, stand er mitten in einem Kletterparcours!
Das gesamte Zimmer war durchzogen von Seilen und Tauen. Von der Decke baumelten Strickleitern und Turnringe. Die Wand gegenüber war gepflastert mit bunten Bouldern, wie Leon sie von den Kletterwänden in Sporthallen kannte. Davor stand ein Fels aus Kunststoff, in dessen Gipfel eine Höhle lag. Vor dem Fenster stand ein großer Schreibtisch auf Baumstümpfen.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte jemand.
Leon fuhr zusammen. Woher kam die Stimme? Er hatte niemanden in dem Zimmer gesehen! Er drehte sich um sich selbst. Aber er war
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