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Die unendliche Geschichte

Die unendliche Geschichte

Titel: Die unendliche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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Namen«, erklärte Argax, »aber man könnte sie - sagen wir mal die Alte Kaiser Stadt nennen.«
    »Die Alte Kaiser Stadt?« wiederholte Bastian beunruhigt. »Warum? Ich sehe hier niemand, der wie ein Alter Kaiser aussieht.«
    »Nein?« - das Äffchen kicherte - »und doch waren alle, die du hier siehst, zu ihrer Zeit einmal Kaiser von Phantasien - oder sie wollten es wenigstens werden.«
    Bastian erschrak.
    »Woher weißt du das, Argax?«
    Der Affe lüpfte wieder den Doktorhut und grinste.
    »Ich bin - sagen wir mal - der Aufseher über die Stadt.«
    Bastian blickte herum. Ganz in der Nähe hatte ein alter Mann eine Grube ausgehoben. Jetzt stellte er eine brennende Kerze hinein und schaufelte das Loch wieder zu.
    Das Äffchen kicherte.
    »Kleine Stadtbesichtigung gefällig, Herr? Sagen wir mal - erste Bekanntschaft machen mit deinem künftigen Wohnort?«
    »Nein«, sagte Bastian, »was redest du da?«
    Das Äffchen sprang auf seine Schulter.
    »Komm nur!« wisperte es, »kostet nichts. Hast schon alles bezahlt, was dich zum Eintritt berechtigt.«
    Bastian begann zu gehen, obwohl er eigentlich lieber fortgelaufen wäre. Ihm war unbehaglich, und dieses Gefühl wuchs mit jedem Schritt. Er beobachtete die Leute, und ihm fiel auf, daß sie auch untereinander nicht redeten. Sie kümmerten sich überhaupt nicht umeinander, ja, sie schienen sich nicht einmal wahrzunehmen.
    »Was ist los mit ihnen?« erkundigte sich Bastian, »warum benehmen sie sich so sonderbar?« »Nicht sonderbar«, kicherte Argax ihm ins Ohr, »sie sind deinesgleichen, könnte man sagen, oder besser, sie waren es zu ihrer Zeit.«
    »Was meinst du damit?« Bastian blieb stehen. »Willst du sagen, daß es Menschen sind?« Argax hüpfte vor Belustigung auf Bastians Rücken auf und nieder:
    »So ist es! So ist es!«
    Bastian sah mitten auf seinem Weg eine Frau sitzen, die mit einer Stopfnadel Erbsen von einem Teller zu piken versuchte.
    »Wie kommen die hierher? Was machen sie hier?« fragte Bastian.
    »Oh, es hat zu allen Zeiten Menschen gegeben, die nicht in ihre Welt zurückgefunden haben«, erklärte Argax. »Erst wollten sie nicht mehr, und jetzt - sagen wir mal - können sie nicht mehr.«
    Bastian blickte einem kleinen Mädchen nach, das mit größter Anstrengung einen Puppenwagen schob, der viereckige Räder hatte.
    »Warum können sie nicht mehr?« fragte er.
    »Sie müßten es sich wünschen. Aber sie wünschen sich nichts mehr. Sie haben ihren letzten Wunsch zu irgendwas anderem verwendet.«
    »Ihren letzten Wunsch?« fragte Bastian mit blassen Lippen. »Kann man denn nicht so lang weiterwünschen, wie man will?«
    Argax kicherte wieder. Er versuchte jetzt, Bastians Turban abzunehmen, um ihn zu lausen. »Laß das!« rief Bastian. Er versuchte den Affen abzuschütteln, aber der hielt sich fest und kreischte vor Vergnügen.»Nicht doch! Nicht doch!« keckerte er, »wünschen kannst du nur, so lang du dich an deine Welt erinnerst. Die hier haben alle ihre Erinnerungen ausgegeben. Wer keine Vergangenheit mehr hat, der hat auch keine Zukunft. Darum werden sie auch nicht älter. Schau sie dir an! Würdest du glauben, daß manche von ihnen schon tausend Jahre und sogar noch länger hier sind ? Aber sie bleiben so, wie sie sind. Für sie kann sich nichts mehr ändern, weil sie selbst sich nicht mehr ändern können.«
    Bastian beobachtete einen Mann, der einen Spiegel einseifte und dann anfing, ihn zu rasieren. Was ihm erst noch komisch vorgekommen war, jagte ihm jetzt eine Gänsehaut über den Rücken.
    Er ging rasch weiter und wurde sich erst jetzt bewußt, daß er immer tiefer in die Stadt hineinging. Er wollte umkehren, aber irgend etwas zog ihn an wie ein Magnet. Er begann zu laufen und versuchte, den lästigen grauen Affen loszuwerden, aber der saß fest wie eine Klette und spornte ihn sogar noch an:
    »Schneller! Hopp! Hopp! Hopp!«
    Bastian sah ein, daß es nichts nützte, was er tat, und hielt inné.
    »Und alle hier«, fragte er atemlos, »waren einmal Kaiser von Phantasien oder wollten es werden?«
    »Klar«, sagte Argax, »jeder, der nicht zurückfindet, will früher oder später Kaiser werden. Nicht jeder hat’s geschafft, aber alle haben es gewollt. Darum gibt es zwei Sorten von Narren hier. Das Ergebnis allerdings - könnte man sagen - ist das gleiche.«
    »Welche zwei Sorten? Erkläre es mir! Ich muß es wissen, Argax!«
    »Nur ruhig! Nur ruhig!« kicherte der Affe und umschlang Bastians Hals fester. »Die einen haben ihre Erinnerungen so

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