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Die unendliche Geschichte

Die unendliche Geschichte

Titel: Die unendliche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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beschäftigt, sie machten Schuhe, Krüge, Lampen, Tassen, Regenschirme - alles aus diesem Flechtwerk. Und niemals arbeitete einer allein, denn alle diese Dinge konnten nur durch die Zusammenarbeit mehrerer hergestellt werden. Es war ein Vergnügen, zuzusehen, wie geschickt sie einander in die Hände arbeiteten und einer immer die Tätigkeit des anderen ergänzte. Dabei sangen sie meist eine einfache Melodie ohne Worte.
    Die Stadt war nicht sehr groß, und so hatte Bastian bald ihren Rand erreicht. Und der Anblick, der sich ihm hier bot, zeigte unverkennbar, daß es sich um eine Seefahrerstadt handelte, denn hier gab es Hunderte von Schiffen j eder Form und Größe. Doch war es eine ziemlich ungewöhnliche Seefahrerstadt, denn alle diese Schiffe waren an riesigen Angelruten aufgehängt und schwebten, leise schwankend, eines neben dem anderen, über der Tiefe, in der die weißen Nebelmassen hinzogen. Übrigens schienen auch diese Schiffe allesamt aus Korbgeflecht zu bestehen und hatten weder Segel noch Masten, noch Ruder oder Steuer. Bastian hatte sich über ein Geländer gebeugt und blickte auf das Nebelmeer hinunter. Wie hoch die Pfähle waren, auf denen die Stadt ruhte, konnte er aus den Schatten sehen, die sie im Schein der Sonne auf die weiße Fläche dort unten warfen.
    »Nachts«, hörte er eine Stimme neben sich sagen, »steigen die Nebel bis auf die Höhe der Stadt. Dann können wir in See stechen. Tags zehrt die Sonne die Nebel auf und der Meeresspiegel sinkt. Das wolltest du doch wissen, Fremder, nicht wahr?«
    Neben Bastian standen drei Männer an das Geländer gelehnt, die ihn sanft und freundlich anblickten. Er kam mit ihnen ins Gespräch und erfuhr, daß diese Stadt den Namen Yskál trug oder auch Korbstadt genannt wurde. Ihre Einwohner hießen Yskálnari. Das Wort bedeutete etwa »die Gemeinsamen«. Von Beruf waren die drei Nebelschiffer. Bastian wollte seinen Namen nicht nennen, um nicht erkannt zu werden, und sagte, er hieße Einer. Die drei Seeleute erklärten ihm, daß sie überhaupt keine Namen für jeden einzelnen hätten und das auch gar nicht nötig fänden. Sie seien alle zusammen die Yskálnari, und das genüge ihnen. Da es gerade Mittagsessenszeit war, luden sie Bastian ein, mit ihnen zu gehen, und er nahm dankbar an. In einem nahegelegenen Gasthaus setzten sie sich zu Tisch, und während der Mahlzeit erfuhr Bastian alles über die Stadt Yskál und ihre Bewohner.
    Das Nebelmeer, das bei ihnen der Skaidan hieß, war ein riesiger Ozean aus weißem Dunst, der zwei Teile Phantásiens voneinander trennte. Wie tief der Skaidan war, hatte noch niemand erforscht, und auch nicht, woher diese ungeheure Nebelmasse stammte. Zwar konnte man unterhalb der Oberfläche durchaus atmen, und man konnte von der Küste aus, wo der Nebel noch verhältnismäßig flach war, ein Stück weit auf dem Grund in das Meer hineingehen, doch nur, wenn man an ein Seil festgebunden war, an dem man zurückgezogen werden konnte. Der Nebel hatte nämlich die Eigenschaft, einen binnen kurzem jeglicher Orientierungsfähigkeit zu berauben. Viele Wagemutige oder Leichtsinnige waren im Lauf der Zeiten schon bei dem Versuch umgekommen, allein und zu Fuß den Skaidan zu durchqueren. Nur wenige hatte man retten können. Die einzige Art, wie man auf die andere Seite des Nebelmeeres kommen konnte, war die der Yskálnari.
    Das Korbgeflecht nämlich, aus dem die Häuser der Stadt Yskál, alle Gebrauchsgegenstände, die Kleider und auch die Schiffe bestanden, wurde aus einer Art von Binsen gemacht, die nahe dem Ufer unter der Oberfläche des Nebelmeeres wuchsen, und die - wie nach dem vorher Gesagten leicht einzusehen ist - nur unter Lebensgefahr geschnitten werden konnten. Diese Binsen, obgleich außerordentlich biegsam und in der normalen Luft sogar schlaff, standen im Nebel aufrecht, weil sie leichter waren als dieser und auf ihm schwammen. Somit schwammen natürlich auch die Schiffe, die aus ihnen gebaut waren. Die Kleidung, die die Yskálnari trugen, war also zugleich eine Art Schwimmweste, für den Fall, daß jemand in den Nebel hineingeriet.
    Aber das war noch nicht das eigentliche Geheimnis der Yskálnari und erklärte noch nicht den Grund für die eigentümliche Gemeinsamkeit, die alle ihre Tätigkeiten bestimmte. Wie Bastian bald bemerkte, schienen sie das Wörtchen »ich« nicht zu kennen, jedenfalls benützten sie es niemals, sondern sprachen immer nur per »wir«. Woher das kam, fand er erst später heraus.
    Als er den Reden der

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