Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
auf Vice President Val Carlotti, der bekanntlich nicht zu scherzen beliebte und der definitiv mit über unser Schicksal entschied. Der ungefähre Wortlaut war: «Dotty, dotty, I want to shoot Val Carlotti with my shotty.»
Die Krönung aber war eine Strophe, in der das Team rappend zum Ausdruck brachte, wie gern man mit allen «chics» aus der Personalabteilung schlafen wollte. Die beiden hübschesten wurden sogar namentlich erwähnt.
Wir waren schockiert. Keine Ahnung, was den Harvard-Mann geritten hatte. Noch rätselhafter war, wie er die anderen in der Gruppe zum Mitmachen animiert hatte. Aus dieser Gruppe wurde keiner übernommen. Vielleicht war es Zufall, ich glaube aber eher nicht.
Josh, Sohn des Wall-Street-Milliardärs, leistete sich ebenfalls ein paar spektakuläre Schnitzer. Im vierzigsten Stock gab es einen Raum für die Praktikanten, der scherzhaft «der Sumpf» genannt wurde. Man musste ins Erdgeschoß runter und dann mit einem speziellen Aufzug wieder hochfahren, um dort hinzugelangen. Das war unser Reich. Der Sumpf war mit zehn Reihen Rechnerplätzen ausgestattet, an denen wir arbeiten, E-Mails schreiben oder im Internet recherchieren konnten, da im Handelssaal in der Regel keine Tische frei waren. Eines Nachmittags schob Josh drei Stühle zusammen, legte sich darauf und schlief ein – mitten am Tag. Sein Pech war, dass genau in diesem Moment ein VP dem Sumpf einen Besuch abstattete …
Doch Josh konnte das noch toppen. Er erlaubte sich eine Entgleisung, die zu einer Regel führte, die bis heute für alle Sommerpraktikanten von Goldman gilt: Im Aufzug wird nicht gesprochen. Kein Witz, keine Bemerkung über das Wetter – kein Wort. Schließlich weiß man nie, wer mit einem fährt. An dem Tag, als der Leiter der Goldman-Niederlassung in Chicago einen Vortrag vor den Praktikanten halten sollte, fuhr Josh im vollen Aufzug nach oben. Es kam die Rede auf die bevorstehende Veranstaltung, und Josh tönte: «Der Chef aus Chicago? Wer interessiert sich denn für den ?» Und natürlich stand besagter Herr gerade mit in der Kabine.
Josh erhielt kein Stellenangebot, als der Sommer vorüber war. Dabei war er wirklich ein netter Kerl, den alle Praktikanten mochten. Er versuchte nie, sein Herkommen irgendwie zu seinem Vorteil zu nutzen. Er hatte später großen Erfolg als Jurist.
Am Anfang hatte man uns gesagt, dass nur etwa fünfzig Prozent der Teilnehmer das Praktikum erfolgreich bestehen und übernommen werden würden. In Wirklichkeit waren es eher noch ein bisschen weniger. Die meisten Teams stellten nur einen Mitarbeiter ein – manche zwei. Das bedeutete, von uns fünfundsiebzig würden im Herbst etwa fünfunddreißig ein Übernahmeangebot erhalten.
Das war uns allen klar. Das Management hielt sich zwar bewusst bedeckt, was die genauen Zahlen anging, doch man ließ uns unmissverständlich wissen, dass nicht einmal die Hälfte Aussichten auf einen Posten hatte. Sie wollten einen gewissen Druck aufrechterhalten, ohne bei uns gleich aggressives Konkurrenzverhalten zu erzeugen, sodass wir uns gegenseitig zerfleischten. Schließlich wurde ja ständig betont, wie wichtig Teamwork war.
Aber die Praktikanten waren nicht auf den Kopf gefallen. Sie konnten nicht alle übernommen werden, also musste man geschickt taktieren. Bewähr dich als Teamplayer, sei kein Kameradenschwein, aber nimm deine Interessen wahr und such dir deine Nische, denn schließlich geht es ums Ganze. Ironischerweise war in jenem Frühjahr gerade die Reality-Fernsehserie Survivor angelaufen. Ganz ähnlich kam uns unser Leben oft vor – nur dass unsere «Reality» das wahre Leben war.
Alle wussten es, doch keiner sprach es aus: Jeder trat hier gegen jeden an. Im Laufe des Sommers merkten wir, wofür sich die anderen interessierten, welche Abteilungen besonders gefragt waren, und wir rechneten uns unsere Chancen aus. Wenn zwanzig Leute auf einen bestimmten Posten scharf waren, doch nur einer eingestellt wurde, wie sah es dann für mich aus? Sollte ich mir lieber einen weniger begehrten Bereich aussuchen, in dem ich bessere Aussichten auf Erfolg hatte? Ich erinnere mich an eine Stanford-Kommilitonin. Sie wollte in ein Team, für das sich neun Leute interessierten, das aber nur zwei Stellen zu vergeben hatte. Statistisch war das kein besonders klug gewähltes Ziel, doch sie war zuversichtlich. Unter dem Strich zählte aber die Persönlichkeit, und zwei andere Bewerber kamen besser an. Glück spielte ebenfalls eine große Rolle. Vielleicht
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