Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
um zu zeigen, was ich konnte. Ich erstellte Tabellen und schrieb Aktienberichte. Ich lernte denVPkennen, der den Bereich leitete: eine Frau, ziemlich unterkühlt, aber immer sachlich-korrekt. Und ich hatte auch mit ihrem Stellvertreter zu tun, einem Associate namens Rudy Glocker.
Rudy war fast zwei Meter groß und hatte an der Penn State für Joe Paterno als Tight End und Linebacker Football gespielt. Sein Spitzname war «das Tier». Irgendein Vorgesetzter hatte ihn so getauft – nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch weil Rudy einfach nicht zu bremsen war. Vor sechs Uhr früh hatte er bereits mit mehreren Kunden telefoniert. Er war Anfang dreißig, schon ein bisschen alt für seine Position, doch er war viel herumgekommen. Nach dem College hatte er sich eine Auszeit genommen und in der ehemaligen Sowjetunion Sportartikel verkauft, als Football-Trainer gearbeitet und dann an der Harvard Business School studiert. Rudy war in gewisser Weise alte Schule. Er stammte aus dem ländlichen Pennsylvania und vertrat – politisch wie ökonomisch – konservative Werte. Er war ernst und puritanisch. Er spielte jeden Donnerstagabend Basketball. Seine Systeme waren immer tipptopp. Für Rudy war der Kunde König.
Rudy trat anderen auf die Füße. Er konnte bissig sein, und dabei war es ihm egal, mit wem er gerade sprach. Es kursiert eine Geschichte über Rudy und einen Goldman-Partner aus dem Bostoner Büro, wo Rudy später hinversetzt wurde. Er sollte mit dem Partner alle Goldman-Kunden aufsuchen, um Research-Perspektiven zu besprechen. Der Partner kam mit einem ganz offensichtlich schweren Aktenkoffer voller Unterlagen an, setzte diesen ab und sagte: «Rudy, nehmen Sie bitte den Aktenkoffer? Das macht Ihnen doch sicher nichts aus?» – «Kein Problem», entgegnete Rudy. «Und wenn Sie mir noch Ihre Schuhe geben, dann putz ich die auch noch schnell.» Rudys Chef, der dabeistand, reagierte prompt: «Rudy, in mein Büro – sofort.»
Zu Rudys Hauptaufgaben gehörte der Verkauf von IPOs (Initial Public Offerings), also Erstemissionen. Zu einem IPO kommt es, wenn eine zuvor nicht börsennotierte Gesellschaft erstmals öffentlich Aktien anbietet und diese Aktien erstmals an einer Börse wie der New York Stock Exchange (NYSE) gehandelt werden. Solche Erstemissionen können Interessenkonflikte bergen für eine Firma wie Goldman Sachs. Geht ein Unternehmen an die Börse, stellt die Bank, die den Börsengang betreut, ein Memo zusammen, in dem sie alle Gründe auflistet, weshalb ihre Kunden von der Transaktion begeistert sein sollten. Das Problem dabei ist, dass die Bank auf beiden Seiten steht. Zum einen sind ihr vielleicht Details bekannt, die gegen das Unternehmen sprechen, das an die Börse will, zum anderen versucht sie gleichzeitig, ihren Kunden die neuen Aktien schmackhaft zu machen und sich objektiv zu geben.
Rudy wägte das Für und Wider ab und sagte dann: «Stimmt, diese drei Aspekte sprechen für das Unternehmen, aber es gibt da auch drei Aspekte, die dagegen sprechen – und wir sollten unsere Kunden auch darüber informieren.» Es kam oft vor, dass ein Kunde anrief und fragte: «Was halten Sie von dieser Emission?» Dann sagte Rudy: «Gehen wird doch heute Nachmittag mal zusammen einen Kaffee trinken.» Beim Kaffee sagte er dann: «Ich will ehrlich zu Ihnen sein – das ist kein so gutes Geschäft. Investieren Sie nicht in dieses Unternehmen.» Rudys Offenheit, die seine Kunden so schätzten, sollte ihn später um seinen Posten bringen.
Am Ende des Sommers waren drei oder vier Praktikanten hinter der New-Markets-Sales-Stelle her, und sie brachten ganz ähnliche Qualifikationen mit wie ich.
Die ganze Zeit während des Praktikums spielte sich ein eigenartiges Ritual ab, so eine Art Balztanz. Der Praktikant und das Team, für das er arbeiten wollte, zeigten nach Möglichkeit Interesse aneinander – aber gleichzeitig nicht zu großes Interesse. Man sagte uns die Übernahme nicht definitiv zu (denn das ging nicht) – umgekehrt machten wir auch nicht deutlich, dass wir ein eventuelles Angebot auf jeden Fall annehmen würden, denn schließlich hatte man uns eingeschärft, stets einen Plan B parat zu haben. Ich fühlte mich allerdings so sehr zu New Markets Sales hingezogen, dass ich, soweit ich mich erinnere, keinen Plan B hatte.
Um also mein Interesse zu zeigen, bemühte ich mich ständig, Zeit mit Rudy und seiner kleinen Gruppe zu verbringen und sie zu unterstützen. In der achten Woche wies die Abteilungsleiterin
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