Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
von Unternehmen bei der Kapitalbeschaffung oder der Umstrukturierung). Im Vertrieb und Handel gab es drei verschiedene Funktionen: Verkäufer, Händler (oder Trader) und Quants (oder Strategen). Letzteres kam für mich (wie für die meisten anderen Praktikanten) von vornherein nicht in Frage. Ich war zwar nicht schlecht in Mathe, aber auch kein Genie. Außerdem fehlte mir der Doktortitel. Blieb also die Frage: Verkäufer oder Händler? Diese Entscheidung musste man möglichst schnell treffen, und die Antwort lag nicht auf der Hand. Wenn man den Handelssaal betrat, erkannte man nicht sofort, wer was war. Überall waren Tischreihen mit Menschen. Erst nach ein paar Wochen bekam man richtig mit, wer was machte und warum.
Die Verkäufer betreuten natürlich die Kunden. Ob es sich dabei um einen Investmentfonds aus Boston, einen Makro-Hedgefonds aus New York oder einen staatlichen Investitionsfonds aus dem Nahen Osten handelte – diese Kunden verwalteten Milliardenvermögen, tätigten häufig Transaktionen mit Goldman Sachs und zahlten dafür in aller Regel Provisionen, die sich zwischen mehreren hunderttausend Dollar und zweistelligen Millionenbeträgen pro Jahr bewegten. Die Verkäufer telefonierten täglich mit den Kunden, berieten sie, hörten sich ihre Wünsche an und konzipierten Anlageideen für sie. Wichtig war dabei, eine Vertrauensbeziehung zum Kunden herzustellen und ihn an die Bank zu binden, denn danach wurde die eigene Leistung beurteilt: Wie viel Geschäftsvolumen brachte der Kunde der Firma? Der typische Verkäufer war sympathisch, offen und kontaktfreudig. Er bewahrte in der Hitze des Gefechts einen kühlen Kopf und konnte mit mehreren Bällen auf einmal jonglieren. Ein Verkäufer musste es mögen, den ganzen Tag über mit Menschen zu kommunizieren.
Die Händler waren eher introvertiert. Sie saßen an ihren Tischen und steuerten Risiken. Würde der Markt zulegen oder nachgeben? Sollten sie abstoßen oder kaufen? Sie versuchten, das Kapital des Unternehmens zu schützen, und sorgten dafür, dass nichts Unverantwortliches getan wurde und dass wir durch eine unbedachte Transaktion nicht plötzlich um 10 Millionen Dollar ärmer waren. Trading war eher quantitativ geprägt. Man musste schnell, entschlossen und aggressiv agieren. Ich merkte bald, dass das Trading nichts für mich war – den ganzen Tag ohne jeden Kundenkontakt allein an einem Tisch zu sitzen. Die Vorstellung, Kontakt zu knüpfen zu einigen der erfolgreichsten Investoren der Welt, gefiel mir dagegen sehr.
Wir bekamen auch schnell mit, dass Verkäufer und Händler tendenziell gegensätzliche Interessen verfolgten. Die Trader versuchten, das Kapital der Firma zu schützen, die Verkäufer dagegen das ihrer Kunden, weil sie auf eine langfristige Beziehung bauten. Es leuchtete in der Tat nicht immer ein, dass es für die Bank von Vorteil war, wenn man dem Kunden einen Vorteil verschaffte. Oft war es sogar von Nachteil für die Bank. Wer seinen Kunden schützen wollte, musste ihm mitunter von riskanten Geschäften abraten und auf einen kurzfristigen Vorteil für das eigene Unternehmen verzichten. Deshalb hatte Goldmans langjähriger Chef Sidney Weinberg gefordert, das Unternehmen müsse «long-term greedy» sein – gierig mit Weitsicht.
Gewöhnlich war die Verteilung unter den Praktikanten ungefähr fifty-fifty: In den ersten Wochen des Sommers konzentrierte sich in etwa die eine Hälfte der Programmteilnehmer auf den Handel, die andere auf den Verkauf.
Ich freundete mich mit einem israelischen Praktikanten an. Er erzählte mir von einer kleinen, etwas unauffälligen Handelsgruppe im Saal, der Emerging Markets Sales, einer Untergruppe von New Markets Sales. Emerging Markets Sales verkaufte Aktien aus Schwellenländern aus Lateinamerika und Südostasien, aber auch aus Israel, Südafrika, Russland, Polen und der Türkei an institutionelle Investoren aus den USA wie Hedgefonds, Investmentfonds und Pensionskassen. New Markets Sales passte zu mir. Ich fand die Schwellenmärkte spannend und stammte selber aus Südafrika. Außerdem sprach ich ziemlich gut Hebräisch.
In der fünften Woche hatte ich dann Glück. Mein kleines Team und ich wurden für drei Tage dem Bereich Emerging Markets Sales zugeteilt.
Ein Praktikant, der schlau ist (was bedeutet: wild entschlossen), lässt sich immer wieder in dem Bereich blicken, der ihm besonders gefallen hat. Also fand ich mich in jeder Kaffeepause beim New-Markets-Sales-Team ein. Ich ließ mir Aufträge geben,
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