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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Smith
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hatte der Managing Director an dem Tag, an dem er sie kennenlernte, seinen Kaffee noch nicht bekommen.
    Oberste Priorität hatte für mich, den richtigen Mentor zu finden – jemanden, der mich mochte, eine gute Meinung von mir hatte, gern mit mir arbeiten und mich fördern wollte. Auch das hatte uns niemand vorher klipp und klar gesagt, doch genau das war der Zweck des Praktikumsprogramms. Das war zunächst verwirrend. Liefen wir einen Marathon – zehn Wochen sind schließlich eine lange Zeit – oder doch eher einen Sprint? Was war das Ziel? Eine Anstellung. Und wie war es zu erreichen? Auf kurze Sicht musste man ständig einen guten Eindruck machen. Man konnte schließlich nicht wissen, wer sich am Ende zu Wort melden und sagen würde: «Wir brauchen Greg Smith.» Man musste sich einen Förderer suchen.
    Viele Praktikanten erlagen dem Trugschluss, dass man sie schon einstellen würde, wenn sie nur den ganzen Sommer über gute Leistungen zeigten. Doch ein Jobangebot bekam in Wirklichkeit nur derjenige, der jemanden gefunden hatte, der ihn haben wollte. So einfach – und so grausam – war das. Da konnte der begabteste Überflieger daherkommen, bei den Open Meetings glänzen und mit seinem Wissen beeindrucken – wenn nach zehn Wochen kein Managing Director bereit war, einen Partner davon zu überzeugen, dass er der richtige Kandidat war, war alles umsonst gewesen. Manche Praktikanten begriffen das erst am Ende des Sommers – und da war es zu spät.
     
    Die Firma drehte uns zwar durch die Mangel, doch gleichzeitig umwarb sie uns. Weil die Wall Street im Jahr 2000 mit dem Silicon Valley um fähige Hochschulabsolventen konkurrierte, musste Goldman seine Kandidaten bei Laune halten. Daher verbrachten wir zwei bis drei Abende pro Woche mit Vorbereitungen für die Open Meetings oder unseren nächsten Einsatzbereich, doch an den übrigen Abenden nahmen wir an gesellschaftlichen Veranstaltungen der Firma teil. Unsere Anwesenheit wurde vorausgesetzt. Manche Anlässe boten Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen. In einem großen Raum traf man sich beim Bier in zwangloser Atmosphäre mit Angehörigen aller Teams. Dabei ging es auch darum, auf Leute zuzugehen, die in einem Bereich tätig waren, für den man sich interessierte.
    Doch es gab auch Veranstaltungen, die nur zu unserer Unterhaltung gedacht waren. So gingen wir zu mehreren Spielen der Yankees. Wir sahen Shows am Broadway – Riverdance oder Lord of the Dance (irgendwas in der Art). Und wir wurden kulinarisch verwöhnt! Zu jeder Sitzung, bei jedem Treffen am Tag wurde das volle Verpflegungsprogramm aufgefahren – nicht bloß Kekse und Tee, sondern riesige Platten mit Sandwiches, Getränke und Süßspeisen. Viele von uns fanden das übertrieben. Da hatten wir gerade Mittag gegessen, und schon gab es wieder einen Berg Sandwiches. Uns kam das unglaublich verschwenderisch vor.
    Damals gab es bei Goldman auch noch frisches Obst, in großen Schalen, die überall im Handelssaal herumstanden – in solchen Mengen, dass es unmöglich jemals aufgegessen werden konnte. Ich sehe noch bergeweise faulende Früchte, mit Schwärmen von Obstfliegen. Später erfuhr ich, dass die Firma buchstäblich mehrere hunderttausend Dollar im Monat nur für Obst ausgab. Als die Technologieblase platzte, war das Obst das Erste, was gestrichen wurde.
     
    Doch im Sommer 2000 war sie noch nicht geplatzt. Der Technologie-Boom war noch in vollem Gang. Alle schrien nach Dotcoms. Damals musste ein Unternehmen lediglich die magische Nachsilbe an seinen Namen hängen oder ihm ein «E-» voranstellen, und sein Wert stieg in zum Teil astronomische Höhen. In jenem Sommer sah man auf den Schreibtischen im Handelssaal von Goldman jede Menge Trophäen stehen – futuristische Plexiglaswürfel zur Erinnerung an spektakuläre Transaktionen, Baseballmützen mit den Logos von Technologieunternehmen –, und es wurde in einer Tour abgeklatscht.
    Inmitten dieser allgemeinen Euphorie entdeckte ich eine Insel der Stabilität: Ich fand meinen Mentor.
    Zu Beginn des Praktikums sprachen wir auf Sitzungen und untereinander viel darüber, in welchem Bereich wir in der Firma arbeiten wollten. Ich hatte bereits früh beschlossen, dass mich der Bereich Vertrieb und Handel, die letzte Bastion des wahren, unverfälschten Kapitalismus, mehr interessierte als Vermögensverwaltung (ein ruhiges Geschäft, wo man das Geld größerer Institutionen oder reicher Leute anlegte) und auch mehr als Investmentbanking (also die Unterstützung

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