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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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los, der ihn am Ärmel festhielt. Er wußte, daß Sabina seine Stärke immer gemocht hatte. Er packte den Arm, den der andere Mann nach ihm ausstreckte, umklammerte ihn fest und schleuderte den Mann mit einem perfekten Judogriff über seinen Kopf.
    Jetzt war er mit sich zufrieden. Sabinas Augen waren noch immer auf ihn gerichtet. Sie würden ihn nie wieder erniedrigt sehen! Sie würden ihn nie wieder zurückweichen sehen!
    Franz würde nie wieder weich und sentimental sein!
    Er empfand einen fast freudigen Haß auf die drei Männer, die sich über seine Naivität hatten lustig machen wollen. Er stand in leicht geduckter Haltung da und ließ sie nicht aus den Augen. Plötzlich schlug etwas Schweres auf seinen Kopf und er brach zusammen. Verschwommen nahm er wahr, daß er weggetragen wurde. Dann fiel er in die Tiefe. Er spürte einen harten Aufprall und verlor das Bewußtsein.  Er wachte erst wieder in einem Genfer Krankenhaus auf.
    Über sein Bett neigte sich Marie-Claude. Er wollte ihr sagen, daß er sie nicht hier haben wollte. Er wollte, daß man augenblicklich die Studentin mit der großen Brille benachrichtigte. Er dachte an sie und an niemand anderen. Er wollte schreien, daß er niemand anderen neben sich ertrage. Aber er stellte entsetzt fest, daß er nicht sprechen konnte. Er blickte Marie-Claude mit grenzenlosem Haß an und wollte sich wegdrehen zur Wand. Aber er konnte seinen Körper nicht bewegen. Er versuchte, den Kopf wegzudrehen. Doch auch mit dem Kopf konnte er keine Bewegung machen. Er schloß die Augen, um MarieClaude nicht zu sehen.
    Der tote Franz gehört nun endlich seiner rechtmäßigen Ehefrau, wie er ihr nie zuvor gehört hat. Marie-Claude bestimmt alles, sie übernimmt die Organisation des Begräbnisses, sie verschickt die Todesanzeigen, sie kauft die Kränze, sie läßt sich ein schwarzes Kleid schneidern, das in Wirklichkeit ein Hochzeitskleid ist. Ja, erst das Begräbnis des Gatten ist für die Gattin die wahre Hochzeit! Die Krönung ihres Lebens, der Lohn für all ihr Leiden!
    Der Pfarrer ist sich dessen durchaus bewußt, und er redet am Grab von ehelicher Treue und Liebe, die durch viele Prüfungen habe gehen müssen, und doch für den Dahingegangenen bis zum Ende seines Lebens ein sicherer Hafen geblieben sei, in den er in seiner letzten Stunde habe zurückkehren können. Auch ein Kollege von Franz, den Marie- Claude gebeten hatte, am Sarg einige Worte zu sprechen, erwies vor allem der tapferen Ehefrau des Verstorbenen seine Verehrung.
    Das Mädchen mit der großen Brille hielt sich, von einer Freundin gestützt, im Hintergrund. Sie hatte so viele Tränen unterdrückt und so viele Tabletten geschluckt, daß sie noch vor Ende der Zeremonie von Krämpfen überwältigt wurde.
    Sie krümmte sich, hielt sich den Bauch und mußte von der Freundin aus dem Friedhof geführt werden.
    Als er vom Vorsitzenden der Genossenschaft das Telegramm erhielt, setzte er sich sofort auf sein Motorrad und fuhr los.
    Er kümmerte sich um das Begräbnis. Auf dem Grabstein ließ er unter dem Namen seines Vaters die Inschrift einmeißeln: Er wollte das Reich Gottes auf Erden.
    Er wußte, daß sein Vater diese Worte niemals gebraucht hätte. Aber er war sicher, daß die Inschrift genau das zum Ausdruck brachte, was sein Vater gewollt hatte. Das Reich Gottes bedeutet Gerechtigkeit. Tomas sehnte sich nach einer Welt, in der Gerechtigkeit herrschte. Hat Simon nicht das Recht, das Leben seines Vaters mit seinen eigenen Worten auszudrücken? Das ist doch seit undenklichen Zeiten das Recht aller Hinterbliebenen!
    Rückkehr nach langem Irrweg steht auf dem Grabstein von Franz. Man kann diese Inschrift als religiöses Symbol verstehen: der Irrweg des irdischen Lebens, die Rückkehr in die Arme Gottes. Eingeweihte wissen jedoch, daß dieser Satz auch einen sehr profanen Sinn hat. Marie-Claude redet übrigens jeden Tag davon: Franz, ihr guter goldiger Franz, hat die Krise seiner fünfzig Jahre nicht aushaken können. Einem armen Mädchen ist er in die Fänge geraten! Sie war nicht einmal hübsch. (Habt ihr diese riesige Brille gesehen, hinter der man sie kaum erkennen konnte?) Aber Fünfzigjährige (das weiß man ja) verkaufen ihre Seele für ein Stück junges Fleisch. Nur die eigene Frau kann wissen, wie sehr er darunter gelitten hat! Es war für ihn eine große moralische Qual! Weil Franz im Grunde seines Herzens gut und ehrlich war. Wie ließe sich diese unsinnige, verzweifelte Reise ins hinterste Asien sonst erklären?

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