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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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Barbarei.« Als der Onkel seiner Freundin ihm eine Bibel in die Hand drückte, war er sehr beeindruckt von den Worten Jesu: »Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« Er wußte, daß sein Vater nicht gläubig war, doch sah er in der Ähnlichkeit der beiden Sätze ein geheimes Zeichen: sein Vater billigte den Weg, den er gewählt hatte.
    Er lebte schon im dritten Jahr auf dem Dorf, als er einen Brief erhielt, in dem Tomas ihn zu einem Besuch einlud. Die Begegnung verlief freundschaftlich, Simon fühlte sich wohl und stotterte nicht ein einziges Mal. Wahrscheinlich war es ihm gar nicht aufgefallen, daß sie sich nicht allzu gut verstanden. Etwa vier Monate später erhielt er ein Telegramm.
    Tomas und seine Frau waren tot, zermalmt von einem Lastwagen.
    Damals erfuhr er von der Frau, die einmal die Geliebte seines Vaters gewesen war und nun in Frankreich lebte. Er machte ihre Adresse ausfindig. Weil er verzweifelt ein imaginäres Auge brauchte, das weiterhin sein Leben beobachtete, schrieb er ihr von Zeit zu Zeit lange Briefe.
    25.
    Bis an ihr Lebensende wird Sabina von diesem traurigen Dorfpoeten Briefe erhalten. Viele werden ungelesen bleiben, weil sie sich immer weniger für das Land, aus dem sie stammt, interessiert.
    Der alte Mann ist gestorben, und Sabina ist nach Kalifornien gezogen. Immer weiter nach Westen, immer weiter weg von Böhmen.
    Ihre Bilder verkaufen sich gut, und sie liebt Amerika.
    Aber nur auf der Oberfläche. Unter der Oberfläche liegt eine fremde Welt. Dort unten hat sie keinen Großvater und keinen Onkel. Sie hat Angst davor, in einen Sarg eingeschlossen und in die amerikanische Erde hinuntergelassen zu werden.
    Deshalb schrieb sie eines Tages ein Testament, in dem sie bestimmte, daß ihr Leichnam verbrannt und die Asche in alle Winde verstreut werden sollte. Teresa und Tomas sind unter dem Zeichen des Schweren gestorben. Sie will unter dem Zeichen des Leichten sterben. Sie wird leichter sein als Luft.
    Nach Parmenides ist dies die Verwandlung vom Negativen ins Positive.
    26.
    Der Autobus hielt vor einem Hotel in Bangkok. Niemand hatte Lust, weitere Versammlungen zu veranstalten. Man verstreute sich in kleinen Gruppen in der Stadt, besuchte die Tempel oder ging ins Bordell. Der Freund von der Sorbonne schlug Franz vor, den Abend gemeinsam zu verbringen, aber er wollte lieber allein sein.
    Es dunkelte schon, als er auf die Straße ging. Er dachte unablässig an Sabina und fühlte ihren langen Blick auf sich ruhen, diesen Blick, unter dem er immer an sich selbst zu zweifeln begann, weil er nicht wußte, was Sabina wirklich dachte. Auch jetzt machte dieser Blick ihn verlegen. Lachte sie ihn aus? Fand sie den Kult, den er mit ihr trieb, albern?
    Wollte sie ihm sagen, er sollte endlich erwachsen werden und sich ganz der Freundin widmen, die sie selbst ihm geschickt hatte?
    Er stellte sich das Gesicht mit der großen Brille vor. Er begriff, wie glücklich er mit seiner Studentin war. Die Reise nach Kambodscha kam ihm auf einmal lächerlich und bedeutungslos vor. Warum war er überhaupt hierhergekommen?
    Jetzt wußte er es. Er war hierhergekommen, um endlich zu begreifen, daß weder die Demonstrationszüge noch Sabina sein wirkliches, sein einzig wirkliches Leben waren, sondern seine Studentin mit der Brille. Er war hierhergekommen, um sich davon zu überzeugen, daß die Wirklichkeit mehr ist als der Traum, viel mehr als der Traum!
    Dann tauchte aus dem Halbdunkel eine Gestalt auf und sprach ihn in einer unbekannten Sprache an. Er sah sie verwundert und zugleich mitleidig an. Der unbekannte Mann verbeugte sich lächelnd und kauderwelschte unaufhörlich in einem sehr dringlichen Ton. Was wollte er ihm sagen? Es schien ihm, als forderte er ihn auf, ihm zu folgen.
    Der Mann nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit sich. Franz sagte sich, daß jemand seine Hilfe brauchte. Vielleicht war er doch nicht vergebens hergekommen? War er doch noch dazu berufen, hier jemandem zu helfen?
    Plötzlich standen noch zwei Gestalten neben dem kauderwelschenden Mann, und der eine forderte auf englisch Geld von Franz.
    In diesem Moment verschwand das Mädchen mit der Brille aus seinen Gedanken, und es war wieder Sabina, die ihn ansah, die irreale Sabina mit ihrem großartigen Schicksal, Sabina, vor der er sich so klein fühlte. Zornig und unzufrieden ruhte ihr Blick auf ihm: ließ er sich schon wieder übertölpeln? Mißbrauchte schon wieder jemand  seine idiotische Güte?
    Mit einem Ruck riß er sich von dem Mann

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