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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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laut, daß Tomas seinen Kopf von ihrem Gesicht abwendete, als würde diese Stimme an seinem Ohr ihm das Trommelfell zerreißen. Der Schrei war nicht Ausdruck von Sinnlichkeit. Sinnlichkeit ist die größtmögliche Mobilisierung der Sinne: man beobachtet den anderen gespannt und nimmt die geringsten Geräusche wahr. Ihr Schrei hingegen sollte die Sinne betäuben, damit sie weder sehen noch hören konnten. Was aus ihr schrie, war der naive Idealismus ihrer Liebe, die die Aufhebung aller Gegensätze sein wollte: die Aufhebung der Dualität von Körper und Seele, vielleicht sogar die Aufhebung der Zeit.
    Hatte sie die Augen geschlossen? Nein, aber ihre Augen schauten nirgendwo hin, sie fixierten die Leere der Decke.  Manchmal warf sie den Kopf heftig hin und her.
    Als ihr Schrei verstummt war, schlief sie an seiner Seite ein und hielt die ganze Nacht seine Hand fest in der ihren.
    Schon mit acht Jahren schlief sie so ein, die eine Hand gegen die andere gedrückt, und stellte sich vor, sie hielte den Mann, den sie liebte, den Mann ihres Lebens. Wenn sie also Tomas' Hand im Schlaf so hartnäckig festhielt, kann man das gut verstehen: von Kindheit an hatte sie sich darauf vorbereitet, hatte es eingeübt.
    14.
    Ein junges Mädchen, das den Betrunkenen Bier ausschenken muß und sonntags die schmutzige Wäsche der Geschwister waschen, statt >nach etwas Höherem< zu streben, sammelt im Inneren eine große Reserve an Lebenskraft, die unbegreiflich ist für Leute, die an Universitäten studieren und über Büchern gähnen. Teresa hat mehr gelesen als sie alle, mehr über das Leben erfahren, aber sie wird sich dessen nie bewußt sein. Was jemanden, der studiert hat, von einem Autodidakten unterscheidet, ist nicht die Fülle des Wissens, sondern der unterschiedliche Grad von Lebenskraft und Selbstvertrauen.
    Der Elan, mit dem Teresa sich in Prag ins Leben stürzte, war ebenso ungestüm wie zerbrechlich. Als würde sie erwarten, daß ihr eines Tages jemand sagte: »Du gehörst nicht hierher!
    Geh zurück, woher du gekommen bist!« Ihr ganzer Lebenshunger hing an einem dünnen Faden: an Tomas' Stimme, die einst ihre schüchtern in den Eingeweiden versteckte Seele an die Oberfläche geholt hatte.  Teresa hatte eine Stelle im Fotolabor bekommen, doch begnügte sie sich nicht damit. Sie wollte selbst fotografieren.
    Tomas' Freundin Sabina lieh ihr Bildbände berühmter Fotografen, sie trafen sich in einem Kaffeehaus und Sabina erklärte ihr über die Bücher gebeugt, was an den Fotografien bemerkenswert war. Teresa hörte ihr mit stiller Aufmerksamkeit zu, wie ein Professor sie kaum je auf den Gesichtern seiner Studenten sieht.
    Dank Sabina begriff sie die Verwandtschaft zwischen Fotografie und Malerei und drängte Tomas, mit ihr alle Ausstellungen zu besuchen, die in Prag stattfanden. Schon bald gelang es ihr, in der Illustrierten eigene Aufnahmen zu veröffentlichen, und eines Tages verließ sie das Labor, um als Fotografin des Blattes zu arbeiten.
    An jenem Abend gingen sie mit Freunden in ein Tanzlokal, um ihre Beförderung zu feiern. Tomas hatte plötzlich schlechte Laune, und da sie ihn drängte, ihr den Grund zu verraten, gestand er ihr endlich zu Hause, daß er eifersüchtig war, weil er sie mit seinem Kollegen hatte tanzen sehen.
    »Du warst tatsächlich eifersüchtig?« fragte sie ihn mindestens zehnmal, als hätte er ihr mitgeteilt, daß sie den Nobelpreis erhalten habe und als wollte sie es nicht glauben.
    Sie faßte ihn um die Taille und begann, mit ihm durchs Zimmer zu tanzen. Das war nicht der Modetanz, den sie kurz zuvor in der Bar aufs Parkett gelegt hatte. Es war eine Art ländlicher Hopser, ein närrisches Gehüpfe, bei dem sie die Beine in die Luft warf, große, linkische Sprünge machte und ihn quer durchs Zimmer zog.
    Leider wurde sie sehr bald selber eifersüchtig. Für Tomas war ihre Eifersucht kein Nobelpreis, sondern eine Last, der er sich erst ein oder zwei Jahre vor seinem Tode entledigen sollte.
    15.
    Sie marschierte nackt um das Schwimmbecken herum, zusammen mit einem Haufen anderer nackter Frauen, Tomas stand oben in einem Korb, der unter dem Deckengewölbe hing, er schrie sie an, zwang sie zu singen und Kniebeugen zu machen. Wenn eine Frau eine falsche Bewegung machte, erschoß er sie.  Ich möchte nochmals auf diesen Traum zurückkommen: das Entsetzen fing nicht in dem Moment an, als Tomas den ersten Schuß abgab. Es war von Anfang an ein Alptraum.
    Nackt mit anderen nackten Frauen im Gleichschritt zu

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