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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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scheußlichen Ausdruck.
    Ihr Benehmen ist eine einzige brutale Geste, mit der sie Jugend und Schönheit von sich wirft. Zu der Zeit, als die neun Freier im Kreis um sie herum knieten, hütete sie ängstlich ihre Nacktheit, als würde sie den Wert ihres Körpers am Maß ihrer Scham messen. Wenn sie sich heute nicht mehr schämt, so tut sie das radikal, als wolle sie mit ihrer Schamlosigkeit einen feierlichen Strich unter ihr Leben ziehen und laut aufschreien, daß Jugend und Schönheit, die sie überschätzt habe, in Wirklichkeit keinen Wert besäßen.  Teresa scheint mir die Verlängerung dieser Geste zu sein, mit der die Mutter ihr Leben als schöne Frau weit von sich warf.
    (Wenn Teresas Bewegungen nervös sind und ihre Gesten nicht anmutig genug, so darf uns das nicht wundern: die große Geste der Mutter, wild und selbstzerstörerisch, ist in Teresa geblieben, ist zu Teresa geworden!)
    8.
    Die Mutter fordert Gerechtigkeit für sich und will, daß der Schuldige bestraft wird. Deshalb besteht sie darauf, daß ihre Tochter mit ihr in der Welt der Schamlosigkeit bleibt, in der Jugend und Schönheit keine Bedeutung haben, in der die Welt nur ein riesiges Konzentrationslager von Körpern ist, die sich alle gleichen und deren Seelen unsichtbar sind.
    Nun können wir den Sinn von Teresas heimlichem Laster besser verstehen: ihre häufigen, langen Blicke in den Spiegel.
    Es war ihr Kampf mit der Mutter. Es war der Wunsch, nicht ein Körper wie die anderen zu sein, sondern auf der Oberfläche des eigenen Gesichts zu sehen, wie die Mannschaft der Seele aus dem Schiffsbauch stürmt. Das war nicht einfach, da die Seele sich, verschüchtert, verzagt und traurig, tief in Teresas Eingeweiden versteckt hatte und sich schämte, zum Vorschein zu kommen.
    So war es an dem Tag, als sie Tomas zum ersten Mal traf.
    Sie kämpfte sich zwischen den Betrunkenen in dem Lokal hindurch, ihr Körper bog sich unter der Last der Bierkrüge, die sie auf einem Tablett trug, und ihre Seele lag irgendwo tief im Magen oder im Pankreas verborgen. In diesem Moment sprach Tomas sie an. Daß er sie ansprach, war um so bedeutungsvoller, als er jemand war, der weder die Mutter kannte noch die Betrunkenen, deren anzügliche Bemerkungen sie sich täglich anhören mußte. Der Status des Fremden erhob ihn über die anderen.
    Und noch etwas: ein offenes Buch lag auf seinem Tisch. In dieser Wirtsstube hatte noch nie jemand ein Buch geöffnet.
    Das Buch war für Teresa das Erkennungszeichen einer geheimen Bruderschaft. Gegen die Welt der Roheit, die sie umgab, besaß sie nämlich nur eine einzige Waffe: die Bücher, die sie in der Stadtbücherei auslieh; vor allem Romane, die sie stapelweise las, von Fielding bis Thomas Mann. Sie boten ihr die Möglichkeit einer imaginären Flucht aus ihrem unbefriedigenden Leben, aber gleichzeitig waren sie auch als Gegenstände bedeutungsvoll: sie spazierte gerne mit Büchern unter dem Arm durch die Straßen. Sie waren für sie das, was der elegante Spazierstock für den Dandy des vergangenen Jahrhunderts war. Durch sie unterschied sie sich von den anderen.
    (Der Vergleich zwischen dem Buch und dem eleganten Spazierstock des Dandy ist nicht ganz richtig. Der Stock war das Erkennungszeichen des Dandy und machte ihn auch modern und modisch. Das Buch unterschied Teresa von den anderen, machte sie jedoch altmodisch. Sie war aber zu jung, um zu begreifen, was an ihr altmodisch war. Die jungen Männer, die mit lärmenden Transistorradios an ihr vorbeigingen, fand sie idiotisch. Sie merkte nicht, daß sie modern waren.) Der Mann, der sie gerade angesprochen hatte, war also ein Fremder und zugleich Mitglied einer geheimen Bruderschaft. Er sprach in höflichem Ton, und Teresa spürte, wie sich ihre Seele durch alle Adern und Poren hindurch drängte, um sich ihm zu zeigen.
    9.
    Auf der Rückfahrt von Zürich nach Prag befiel Tomas ein Gefühl des Unbehagens bei dem Gedanken, daß sein Zusammentreffen mit Teresa auf sechs unwahrscheinlichen Zufällen beruhte.
    Wird aber ein Ereignis nicht um so bedeutungsvoller und gewichtiger, je mehr Zufälle für sein Zustandekommen notwendig sind?
    Nur der Zufall kann als Botschaft verstanden werden. Was aus Notwendigkeit geschieht, was absehbar ist, was sich täglich wiederholt, ist stumm. Nur der Zufall ist sprechend.
    Wir versuchen, aus ihm zu lesen wie die Zigeunerinnen aus dem Muster des Kaffeesatzes auf dem Grund der  Tasse.
    Tomas' Auftauchen im Lokal war für Teresa eine Offenbarung des

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